Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvertrag als "Allgemeine Geschäftsbedingungen". Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Unwirksamkeit von Überraschungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist ein Arbeitsvertrag vorformuliert und in einer größeren Anzahl zur Anwendung gekommen, sind seine Regelungen als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" i.S.d. § 305c Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen, die der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen.
2. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden.
3. Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsinhalt, die den Umständen nach, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass ein Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte. Überraschungsklauseln muss ein "Überrumpelungseffekt" innewohnen. Das Überraschungsmoment ist umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1-2, § 16 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 1; BGB §§ 305c, 307, 310 Abs. 3 Nr. 3; HTV-TzBfG Nr. 2 Fassung: 2017-06-13; Arbeitsvertragv. 30.10.2015 Nr. 10a
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 15.05.2020; Aktenzeichen 5 Ca 144/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.05.2020 - 5 Ca 144/20 - abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung in der "Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag" vom 01.10.2018 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet hat.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses auf die Zeit bis zum 31.12.2019.
Die Beklagte betreibt als Unternehmen der Automobilindustrie ein Produktionswerk in ... Unter dem 22.08.2003 unterzeichneten die Beklagte und die ... mit Wirkung ab dem 01.08.2003 den "Haustarifvertrag über die Arbeitsbedingungen bei der ...
GmbH" (im Folgenden = HTV-MTV), in dem u. a. Regelungen zur Bemessung des Entgelts, zu Kündigungsfristen und zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis enthalten sind. Unter dem 13.06.2017 unterzeichneten die vorgenannten Tarifvertragsparteien einen weiteren Haustarifvertrag (im Folgenden = HTV-TzBfG; vgl. Anlage K 2 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 23 d. A.) mit folgendem Inhalt:
1. Geltungsbereich
Der Geltungsbereich dieses Haustarifvertrages richtete sich nach dem Geltungsbereich des Haustarifvertrags über die Arbeitsbedingungen bei der ... GmbH in seiner jeweils gültigen Fassung.
2. Befristete Arbeitsverträge
Die Vertragsparteien vereinbaren in Ausübung ihrer Regelungskompetenz gemäß § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG, dass die ... ihre Arbeitsverträge mit einer kalendermäßigen Befristung ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zu einer Höchstdauer von vier Jahren und eine sechsmalige Verlängerungsmöglichkeit versehen kann.
3. Schlussbestimmungen
Dieser Tarifvertrag tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er ist befristet und endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum 31.12.2021. Eine Kündigung des Tarifvertrags während seiner Laufzeit ist ausgeschlossen.
Unter dem 22.11.2018 unterzeichneten die Tarifvertragsparteien die "Anlage 1 zum Haustarifvertrag der ... GmbH (...) vom 13.06.2017" (Anlage K 5 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 26 d. A.). Darin heißt es wie folgt:
(...) wird in Klarstellung des Haustarifvertrages vom 13.06.2017 über befristete Arbeitsverträge folgendes vereinbart:
1. Die im Haustarifvertrag vom 13.06.2017 vereinbarten Regelungen gelten auch für befristete Arbeitsverhältnisse, die bereits vor Abschluss des Haustarifvertrages abgeschlossen wurden.
2. Im Übrigen bleibt der Haustarifvertrag unverändert bestehen.
Die keiner Gewerkschaft angehörende Klägerin war ab dem 01.08.2010 zunächst auf der Grundlage eines Werkvertrages mit einem Drittunternehmen und ab dem 01.01.2014 im Wege der Arbeitnehmerüberlassung im Sperrlager des Bereichs Qualität der Beklagten tätig. Unter dem 30.10.2015 unterzeichneten die Parteien einen auf die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2017 befristeten Arbeitsvertrag (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 18 ff. d. A.), auf dessen Grundlage die Klägerin als "Mitarbeiter Sperrlager im Bereich Qualität" beschäftigt wurde. Darin ist u. a. Folgendes bestimmt:
3. Vergütung
a. Ihr Monatsgehalt beträgt € 2.694,52 brutto.
Grundlage ist ihre Eingruppierung in die Entgeltgruppe 4 Stufe 2.
(...)
Zusätzlich erhalten Sie ein Urlaubs- und ein Weihnachtsgeld entsprechend der Regelungen des Haustarifvertrages der ... GmbH.
(...)
9. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
a. Die Kündigungsfrist richtet sich nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen der ... GmbH.
(...)
10. Sonstiges
a....