Entscheidungsstichwort (Thema)
Konstitutive Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag. Überraschungsklausel im Arbeitsvertrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Wege einer Vertragsauslegung ist zu ermitteln, ob der Arbeitgeber mit dem Hinweis auf "die geltenden tariflichen Bestimmungen" nur eine deklaratorische Bezugnahme beschreiben oder eine konstitutive, d.h. inhaltlich verbindliche Gestaltung des Vertragsinhalts herbeiführen wollte.
2. Überraschenden Vertragsklauseln i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB muss ein "Überrumpelungseffekt" innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Da sich das Überraschungsmoment auch aus dem Erscheinungsbild des Vertrags ergeben kann, ist es möglich, dass durch das Unterbringen einer Klausel an unerwarteter Stelle im Text diese deswegen als Überraschungsklausel erscheint.
Normenkette
BGB §§ 133, 145, 305c, 307 Abs. 1; TzBfG § 14 Abs. 2; HTV-TzBfG Nr. 2 Fassung: 2017-06-13
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 05.03.2020; Aktenzeichen 14 Ca 2327/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 05.03.2020 - 14 Ca 2327/19 -
a b g e ä n d e r t :
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristungsabrede vom 20.06.2018.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 01.01.2016 beschäftigt. Die Parteien vereinbarten die einzelnen Arbeitsbedingungen zunächst mit dem Arbeitsvertrag vom 30.10.2015 (Bl. 10 ff. d. A.). Die Parteien trafen hierin u. a. folgende Regelungen:
"1. Beginn
Das Arbeitsverhältnis beginnt am 01.01.2016 und endet am 31.12.2016
...
...
10. Sonstiges
a) Auf das Arbeitsverhältnis sind die jeweils geltenden gesetzlichen, tarifvertraglichen und betrieblichen Bestimmungen anzuwenden.
..."
Mit dem Änderungsvertrag vom 28.09.2016 (Bl. 15 d. A.) vereinbarten die Parteien folgende Regelung:
"1. Beginn und Dauer
Das befristete Arbeitsverhältnis wird bis zum 31.12.2017 verlängert und endet zu diesem Zeitpunkt, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Alle übrigen arbeitsvertraglichen Bestimmungen bleiben unverändert.
..."
Mit der Zusatzvereinbarung vom 09.11.2017 (Bl. 17 d. A.) verständigten sich die Parteien auf folgende Regelung:
"1. Beginn und Dauer
Das befristete Arbeitsverhältnis wird verlängert bis zum 31.12.2018.
Alle übrigen arbeitsvertraglichen Bestimmungen bleiben unverändert.
..."
Mit der weiteren Zusatzvereinbarung vom 20.09.2018 (Bl. 18 d. A.) vereinbarten die Parteien folgende Regelung:
"1. Beginn und Dauer
Das befristete Arbeitsverhältnis wird verlängert bis zum 31.12.2019.
Alle übrigen arbeitsvertraglichen Bestimmungen bleiben unverändert.
..."
Der Kläger verdiente zuletzt 4.085,14 € brutto monatlich.
Die Beklagte und die ... vereinbarten den Haustarifvertrag vom 13.06.2017 (fortan: HTV-TzBfG). Die Tarifvertragsparteien vereinbarten folgende Regelungen:
"...
2. Befristete Arbeitsverträge
Die Vertragsparteien vereinbaren in Ausübung ihrer Regelungskompetenz gemäß § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG, dass die PLG ihre Arbeitsverträge mit einer kalendermäßigen Befristung ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zu einer Höchstdauer von vier Jahren und eine sechsmalige Verlängerungsmöglichkeit versehen kann.
3. Schlussbestimmungen
Dieser Tarifvertrag tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er ist befristet und endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum 31.12.2021. Eine Kündigung des Tarifvertrages während seiner Laufzeit ist ausgeschlossen."
Die Tarifvertragsparteien verständigten sich außerdem auf die Anlage 1 zum Haustarifvertrag vom 22.11.2018 (Bl. 19 d. A.). Er enthält folgende Regelung:
"... wird in Klarstellung des Haustarifvertrags vom 13.06.2017 über befristete Arbeitsverträge folgendes vereinbart:
1. Die im Haustarifvertrag vom 13.06.2017 vereinbarten Regelungen gelten auch für befristete Arbeitsverhältnisse, die bereits vor Abschluss des Haustarifvertrags abgeschlossen wurden.
2. Im übrigen bleibt der Haustarifvertrag unverändert bestehen."
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass die Befristungsabrede vom 20.09.2018 unwirksam sei. Der Haustarifvertrag habe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Befugnis der Beklagten geregelt, das Arbeitsverhältnis auf insgesamt vier Jahre zu verlängern. Im Haustarifvertrag vom 13.06.2017 sei nur geregelt worden, dass neu abgeschlossene Arbeitsverträge entsprechend verlängert werden können. Dies ergebe sich auch aus der Anlage 1. Es handele sich dabei nicht nur um eine Klarstellung. Nach Ziffer 1 der Anlage 1 sei der Haustarifvertrag geändert worden. Auch eine rückwirkende Wirkung könne nicht vereinbart werden. Der Haustarifvertrag finde keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers. § 10 des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 enthalte keine wirksame Bezugnahmeklausel.
Er enthalte keinen Rechtsbindungswillen. Es handele sich um eine reine Wissenserklärung.
Im Falle der Annahme einer ...