Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des TVöD-VKA. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Tarifliche Bezeichnung "Beschäftigte in Gaststätten" als Begriff aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Weitgehende Parallelentscheidung zu LAG Chemnitz 3 Sa 485/21 v. 11.07.2023
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelung unter § 1 Abs. 2 lit. r) TVöD-VKA enthält eine Einschränkung des persönlichen Geltungsbereiches des TVöD-VKA. Der TVöD-VKA gilt u.a. nicht für „Beschäftigte in Gaststätten“.
2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen.
3. Bei der Wortlautauslegung ist, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff nicht eigenständig definieren, erläutern oder einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden, vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Wird ein Begriff verwendet, der in allgemeinen oder in fachlichen Kreisen eine bestimmte Bedeutung hat, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit diesem Begriff den allgemein üblichen Sinn verbinden wollten, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind.
Normenkette
TVöD-VKA § 1 Abs. 1; TVöD-VKA § 1 Abs. 2 Buchst. r); TVöD-VKA § 12 Anl. 1 EntgO EG 3 Stufe 5-6
Verfahrensgang
ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 05.11.2021; Aktenzeichen 3 Ca 895/21) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 05.11.2021 – 3 Ca 895/21 – teilweise abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und sich daraus ergebende Nachzahlungsansprüche.
Die mit Gesellschaftsvertrag vom 17.12.1997 gegründete Beklagte ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Sachsen e.V. Einzige Gesellschafterin ist die Stadt …. Die Beklagte betreibt seit 1998 das vormals von der Stadt … verwaltete Eissportzentrum mit einer Eissporthalle und einer Eisschnelllaufbahn unter freiem Himmel, seit 2000 das ebenfalls vormals von der Stadt … verwaltete Naherholungsgebiet am Stausee … mit Freibad, Übernachtungsmöglichkeiten, Kletterwald und Kinderspielplätzen sowie seit 2003 das nunmehrige „…bad …“. Für alle drei Liegenschaften hat die Beklagte einen Gaststättenbetrieb als Gewerbe angemeldet.
Sowohl am Eissportzentrum als auch am Stausee … unterhält die Beklagte je eine Großküche, in denen Speisen hergestellt, d. h. vorgekocht, portioniert und eingelagert werden. Diese werden über die gastronomischen Einrichtungen der Liegenschaften vertrieben. Im Eissportzentrum werden während der Wintersaison drei Imbissstände (zwei in der Halle, einer an der Eisschnelllaufbahn) betrieben. Zwei kleine und ein großer Gastraum können ganzjährig für private und gewerbliche Veranstaltungen gemietet werden. Hierfür bietet die Beklagte die gastronomische Versorgung an.
Im Bereich des Naherholungsgebiets am Stausee … betreibt die Beklagte in der Sommersaison vier verschiedene Imbiss-/Grill-/Bareinrichtungen. Diese befinden sich in einem abgezäunten Bereich, der von Badegästen nur gegen Eintritt betreten werden kann. Darüber hinaus besteht ein Bistro mit angeschlossener Sonnenterasse, welches auch von außen, unmittelbar vom Parkplatz aus von jedermann besucht werden kann. Das Bistro hat je nach Wetterlage saisonunabhängig geöffnet. Im Rahmen von Eigen- und Fremdveranstaltungen werden gastronomische Leistungen angeboten. An sämtlichen von der Beklagten betriebenen Imbissen besteht die Möglichkeit, die dort erworbenen Speisen und Getränke vor Ort zu verzehren. Neben ca. 39 festangestellten Arbeitnehmer/innen beschäftigt die Beklagte Saisonkräfte in streitigem Umfang (nach Behauptung der Beklagten 2022 durchschnittlich 10, nach Wahrnehmung der Klägerin zwischen 15 und 20).
Die Klägerin ist seit dem 01.04.2011 bei der Beklagten als Badhelferin/Servicekraft beschäftigt. Sie verfügt über abgeschlossene Berufsausbildungen als Bürokauffrau und als Köchin und ist seit dem 01.07.2010 Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). In den Wintermonaten erfolgt der Einsatz der Klägerin im Eissportzentrum, in den Sommermonaten im Bereich des Stausees …. Ausschließlich im Monat April eines Jahres erbringt die Klägerin Hauswirtschaftstätigkeiten in Form von Spülen, Bügeln, Waschen und Putzen.
Im Eissportzentrum erfolgt der Einsatz der Klägerin als Kassiererin an der Einlasskasse, an der Gästeinformation, bei der ...