Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Satzung eines Arbeitgeberverbandes für den Wechsel einer Arbeitgeberin von der Vollmitgliedschaft in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Tarifbindung in der Abfall- und Entsorgungswirtschaft bei unwirksamem Wechsel der Arbeitgeberin in eine OT-Mitgliedschaft im Rahmen des Stufenmodells

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Maßgebend für die Feststellung der Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 1 TVG ist der Zeitpunkt der wirksamen und verbindlichen Tarifvereinbarung.

2. Aufgrund der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG verliehenen Satzungsautonomie sind die Arbeitgeberverbände grundsätzlich befugt, in ihren Satzungen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung auch in Form eines Stufenmodells vorzusehen; der Wechsel in einen Mitgliederstatus ohne Tarifbindung ist jedoch aus tarifrechtlicher Sicht an bestimmte Voraussetzungen gebunden.

3. Die Begründung einer Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) setzt voraus, dass es für diese Mitgliedschaftsform zu dem Zeitpunkt, in dem ein bisheriges Vollmitglied eine OT-Mitgliedschaft begründen will, eine wirksame satzungsmäßige Grundlage gibt; die Verbandssatzung kann festlegen, auf welche Weise eine Mitgliedschaft im Sinn von § 3 Abs. 1 TVG begründet und beendet werden kann.

4. Hat ein grundsätzlich tarifwilliger Verband nachträglich einen Sonderstatus für OT-Mitglieder mit eingeschränkten Beteiligungsrechten geschaffen ("Stufenmodell"), muss wegen der an die Tarifgebundenheit anknüpfenden und unter Umständen weitreichenden Rechtswirkungen auch gegenüber Dritten die Verbandsmitgliedschaft mit Tarifbindung im Sinn von § 3 Abs. 1 TVG von einer Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung eindeutig abgrenzbar sein.

5. Notwendige Voraussetzung für einen Wechsel in die OT-Mitgliedschaft ist eine Satzung des Arbeitgeberverbandes, die für Mitglieder ohne Tarifbindung nicht lediglich die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 TVG abbedingt sondern darüber hinaus für Tarifangelegenheiten eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung vorsieht; zum Ausschluss einer unmittelbaren Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen hat die Satzung des Arbeitgeberverbandes sicherzustellen, dass

(1) OT-Mitglieder nicht in Tarifkommissionen entsandt werden und den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten,

(2) OT-Mitglieder von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds ausgeschlossen sind,

(3) OT-Mitglieder vom Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen ausgeschlossenen sind,

(4) ein Wechsel in die OT-Mitgliedschaft zum Verlust entsprechender Ämter führt.

6. Mitgliedern ohne Tarifbindung können die allgemeinen Mitwirkungsrechte eines gewöhnlichen Vereinsmitglieds zustehen, die keinen originären Bezug zur Tarifpolitik des Verbands haben, wobei auch die Beteiligung an der Erörterung tarifpolitischer Fragen mit beratender Stimme unbedenklich ist.

7. Ein Wechsel des Vollmitgliedes in die OT-Mitgliedschaft hat satzungsgemäß und wirksam zu erfolgen; ist ein Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung satzungsgemäß grundsätzlich möglich, kann sich eine tarifrechtliche Unwirksamkeit gleichwohl dann ergeben, wenn der Wechsel während laufender Tarifverhandlungen erfolgt und der konkrete Wechsel des Mitglieds für die an der Verhandlung beteiligte Gewerkschaft nicht vor dem endgültigen Tarifabschluss erkennbar ist.

8. Im Einzelfall kann sich das Fehlen einer klaren und eindeutigen Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung bereits formal daraus ergeben, dass die Satzung zwar verschiedenartige Mitgliedschaften vorsieht, insoweit jedoch die OT-Mitgliedschaft gerade nicht ausdrücklich benennt.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BGB § 25; TVG § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 22.06.2011; Aktenzeichen 9 Ca 605/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22.06.2011 - 9 Ca 605/11 - wird, soweit sie sich gegen Ziffer 1 des Tenors in der Fassung vom 18.10.2011 richtet,

z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22.06.2011 - 9 Ca 605/11 - wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klaganträge Ziffer 2 und 4, 2. Alternative richtet,

z u r ü c k g e w i e s e n .

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

4. Die Revision wird in Bezug auf Ziffer 1 (Beklagte und Streitverkündeter) zugelassen.

Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an die Tarifverträge des ... e. V. - VPS (im Folgenden :...) gebunden ist. Der Kläger beansprucht in diesem Zusammenhang die Eingruppierung in Vergütungsgruppe 8, Stufe 5 des Bundes-Entgeltrahmentarifvertrages vom 24.10.2001 in der Fassung vom 03.06.2008 sowie die Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von zuletzt € 4.232,61.

Der am ...1...

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