Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifbindung in der Entsorgungswirtschaft. Unwirksamer Wechsel der Arbeitgeberin von der Vollmitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung bei unzureichender satzungsmäßiger Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung. Unzulässige Feststellungsklage eines Müllwerkers
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufgrund der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG verliehenen Satzungsautonomie sind die Verbände grundsätzlich befugt, in ihren Satzungen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung auch in Form eines “Stufenmodells„ vorzusehen.
2. Der Wechsel in einen Mitgliederstatus ohne Tarifbindung ist aus tarifrechtlicher Sicht an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Die Begründung einer OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband setzt voraus, dass es für diese Mitgliedschaftsform zu dem Zeitpunkt, in dem ein bisheriges Vollmitglied eine OT-Mitgliedschaft begründen will, eine wirksame satzungsmäßige Grundlage gibt.
3. Der Wechsel in einen Mitgliederstatus ohne Tarifbindung setzt notwendig voraus, dass die Satzung für die Mitglieder ohne Tarifbindung nicht lediglich die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 TVG abbedingt sondern darüber hinaus für Tarifangelegenheiten eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung vorsieht.
4. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen ist rechtwidrig. Das ist satzungsrechtlich abzusichern.
5. Enthalten weder Satzung noch Geschäftsordnung Regelungen zu der Frage, ob der Verbandspräsident die Große Tarifkommission auch dann führt, wenn er einem Unternehmen angehört, welches Mitglied des “Wirtschaftsverbandes„ und nicht des “Arbeitgeberverbandes„ ist, sondern legt die Satzung vielmehr uneingeschränkt fest, dass die Führung der Großen Tarifkommission dem Präsidenten obliegt, fehlt es an einer ausreichend klaren und eindeutigen Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 22.06.2011; Aktenzeichen 9 Ca 605/11) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22.06.2011 - 9 Ca 605/11 - wird, soweit sie sich gegen Ziffer 1 des Tenors in der Fassung vom 18.10.2011 richtet, zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22.06.2011 -9 Ca 605/11 -wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klaganträge Ziffer 2 und 4, 2. Alternative richtet,
z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
4. Die Revision wird in Bezug auf Ziffer 1 (Beklagte und Streitverkündeter) zugelassen.
Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an die Tarifverträge des ... e. V. VPS (im Folgenden: ...) gebunden ist. Der Kläger beansprucht in diesem Zusammenhang die Eingruppierung in Vergütungsgruppe 8, Stufe 5 des Bundes-Entgeltrahmentarifvertrages vom 24.10.2001 in der Fassung vom 03.06.2008 sowie die Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von zuletzt € 4.232,61.
Der am ...1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten, ein Unternehmen der Abfall- und Entsorgungswirtschaft, seit 21.06.1993 als Müllwerker auf unterschiedlichen Entsorgungsfahrzeugen beschäftigt. Die einzelnen Arbeitsbedingungen vereinbarten die Parteien mit dem Arbeitsvertrag vom 17.08.1998 (Bl. 120 ff. d. A.). Der Kläger verdiente zuletzt € 2.030,00 brutto monatlich.
Der Kläger wurde am 01.03.1997 Mitglied der Gewerkschaft ... Der Kläger legte die Bestätigungen der Gewerkschaft ... vom 02.05.2011 (Bl. 170 d. A.) und vom 12.01.2012 (Bl. 722 d. A.) vor.
Die Beklagte, die ca. 550 Arbeitnehmer in mehreren Niederlassungen beschäftigt, ist mindestens seit 1996 Mitglied im ... e. V. Im ... galt zunächst die am 14.09.2001 beschlossene ...-Satzung (Bl. 21 ff. d. A.). Auf der Mitgliederversammlung des ... vom 26.01.2006 wurde die Änderung der Satzung in § 3, § 5 und § 11 beschlossen (Bl. 608 ff. d. A.). Die Änderungen wurden am Tag der Eintragung in das Vereinsregister beim AG Charlottenburg (Registernummer: 22240 B) am 05.02.2007 wirksam.
Mit am 26.04.2002 zugehendem Schreiben vom 22.04.2002 (Bl. 41 d. A.) erklärte die Beklagte die Kündigung der "Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband" zum 30.04.2002.
Mit Schreiben vom 10.06.2002 (Bl. 125 d. A.) bestätigte der ... die Mitgliedschaft der Beklagten im Wirtschaftsverband.
Mit Schreiben vom 12.07.2002 (Bl. 190 d. A.) bestätigte die Gewerkschaft ... die Mitteilung des ... über den Austritt der Beklagten.
Am 09.01.2001 vereinbarten der ... und die Gewerkschaft ... mit Wirkung zum 01.01.2002 u. a. folgende Tarifverträge:
- Bundesmanteltarifvertrag (im Folgenden: BMTV)
- Bundesentgeltrahmentarifvertrag (im Folgenden: BERT).
Die Tarifvertragsparteien vereinbarten nachfolgend außerdem folgende Tarifverträge:
- Bundesentgelttarifvertrag vom 06.06.2002 (Laufzeit: 01.05.2002 bis 31.08...