Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung nach dem Umfang der ausgefallenen regelmäßigen Arbeitszeit. Ermittlung der Entgeltfortzahlung bei einem Abrufarbeitsverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Gem. § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer im Krankheitsfall das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Dieser Entgeltfortzahlung liegt ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Für den Anspruch ist maßgeblich, welche Arbeitszeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. Bei schwankender individueller Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung auf der Grundlage eines Referenzzeitraums, der in der Regel zwölf Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegt, zulässig und geboten. Eines Referenzzeitraums bedarf es nicht, wenn die Bestimmung der ausgefallenen Arbeitszeit eindeutig und nachprüfbar möglich ist.
2. Diese Grundsätze der Entgeltfortzahlung gelten auch, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Abrufarbeit i.S.d § 12 TzBfG vereinbart haben. Die Besonderheit besteht darin, dass eine zeitliche Festlegung und Konkretisierung der Arbeitszeiten erst mit dem Abruf der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber erfolgt. Im Abrufarbeitsverhältnis, in dem die Arbeitseinsätze in schwankendem Umfang stattfinden, erfolgt die Feststellung der regelmäßigen Arbeitszeit auf der Grundlage einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung eines Referenzzeitraums. Nur wenn die Konkretisierung und Festlegung der Arbeitszeiten, an denen aufgrund einer zwischenzeitlichen Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet worden ist, bereits erfolgt ist, ist die Bestimmung des Umfangs der ausgefallenen Arbeitszeit ohne vergangenheitsbezogenen Referenzzeitraum möglich und zulässig.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; TzBfG § 12 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Entscheidung vom 09.08.2017; Aktenzeichen 7 Ca 978/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 09.08.2017 - 7 Ca 978/17 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision für die Beklagte wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für Dezember 2016 Anspruch auf weitergehende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, die am ... Dienstleistungen in der Flugabfertigung verrichtet, seit 22.05.2000 als Mitarbeiterin im Bereich Fluggastabfertigung/Flugzeugabfertigung/Verwaltung beschäftigt. Die einzelnen Arbeitsbedingungen vereinbarten die Parteien mit dem Arbeitsvertrag vom 22.05.2000 (Bl. 7 ff. d. A.). Mit dem Änderungsvertrag vom 01.01.2002 (Bl. 11 d. A.) verständigten sich die Parteien u. a. auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden. Für die Dauer einer Elternzeit wurde die Klägerin vom 01.04.2016 befristet bis 31.10.2016 als sog. Abrufkraft beschäftigt. Die einzelnen Bedingungen hierfür vereinbarten die Parteien mit dem Änderungsvertrag vom 23.03.2016 (Bl. 12 d. A.). Mit dem Änderungsvertrag vom 14.10.2016 (Bl. 13 d. A.) wurde die Regelung bis 31.10.2017 verlängert. Die Klägerin verdiente im Anspruchszeitraum 13,31 € brutto.
Im Dezember 2016 war die Klägerin vom 06.12. bis 25.12. arbeitsunfähig krank.
Im Dezember 2016 arbeitete die Klägerin insgesamt an 32,50 Stunden.
Die Dienstplanung für Dezember 2016 erfolgte wie folgt:
- für die Woche vom 05.12. bis 11.12. am 25.11.2016 (Bl. 66 d. A.);
- für die Woche vom 12.12. bis 18.12. am 02.12.2016 (Bl. 68 d. A.);
- für die Woche vom 19.12. bis 25.12. am 09.12.2016 (Bl. 70 d. A.).
Der Dienstplan vom 25.11.2016 wurde am 30.11.2016, der Dienstplan vom 02.12.2016 am 07.12.2016 und derjenige vom 09.12.2016 am 14.12.2016 aktualisiert.
Im Anspruchszeitraum vom 07.12. bis 22.12.2016 war die Klägerin an insgesamt 73,25 Stunden zur Arbeit eingeplant.
Die Beklagte erteilte für Dezember 2016 die Vergütungsabrechnung vom 10.01.2017 (Bl. 15 d. A.).
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass im streitigen Krankheitszeitraum der Abruf für zu leistende Arbeitsstunden bereits erfolgt sei. Sie habe deshalb Anspruch auf weitergehende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der geltend gemachten Höhe. Dienstpläne würden i. d. R. nicht erst eine Woche vorher erstellt. Dienstpläne würden einen Monat im Voraus erstellt. Jeweils wochenweise freitags vor der übernächsten Woche erfolge die Behandlung des Dienstplans durch den Betriebsrat und Bekanntgabe der geplanten Schicht sowie der konkret geplanten Arbeitszeit an den geplanten Tagen. Daher seien die behaupteten Termine für die Dienstplangestaltung unrichtig. Diese erfolge im November nach Bekanntgabe der terminlichen Wünsche. Die Klägerin habe die Dienstpläne für Dezember per E-Mail am 17.11.2016 (Bl. 64 d. A.) erhalten. Die Monate im sog. Referenzzeitraum seien nicht repräsentativ. Die Klägerin werde erst ab 15.11.2016 erweitert eingeset...