Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung der AVR des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland hinsichtlich der Anrechnung von Bereitschaftsdienst auf die wöchentliche Arbeitszeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach den AVR des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland wird Bereitschaftsdienstzeit nur zum Zwecke der Bezahlung als Arbeitszeit gewertet, nicht jedoch zum Zweck der Einstellung in das Arbeitszeitkonto.
2. Bei fehlender Abgeltung in Freizeit ist nach dem Ende des 3. Kalendermonats für die Bereitschaftsdienststunden das Überstundenentgelt zu zahlen.
3. Ist arbeitsvertraglich eine bestimmte Stundenzahl als Wochenarbeitszeit vereinbart, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer mit im Jahresschnitt dieser Stundenzahl pro Woche Vollarbeit zu beschäftigen. Diese Zeit kann nicht erfüllt werden durch die Anrechnung von faktorisierten Bereitschaftsdienststunden.
4. Ist auf dem Jahresarbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei Nichtberücksichtigung der fälschlicherweise eingestellten Bereitschaftsdienststunden ein erhebliches Minus dadurch entstanden, dass er bei der monatlichen Dienstplanung nicht mit der durchschnittlichen Stundenzahl eingeplant und tatsächlich beschäftigt wurde, so ist der Arbeitgeber gem. § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet, im Arbeitszeitkonto diejenigen Vollarbeitsstunden gut zu schreiben, die der Arbeitnehmer im Jahresschnitt unter Berücksichtigung der Sollarbeitszeit hätte erbringen können abzüglich der schon gebuchten Vollarbeitsstunden.
Normenkette
BGB §§ 611, 133, 157, 280 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Entscheidung vom 18.08.2014; Aktenzeichen 8 Ca 2663/13) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 18.08.2014 - Az. 8 Ca 2663/13 - unter teilweiser Verwerfung und Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auf dessen Arbeitszeitkonto beim Saldo 473 Stunden gutzuschreiben.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte den Kläger zur Erfüllung der vereinbarten regelmäßigen Wochenarbeitszeit von derzeit 40 Std. nicht mit Bereitschaftsdiensten beschäftigen darf.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte zu 76,6 %, der Kläger zu 23,4 %.
III. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen, soweit der Klage stattgegeben wurde.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Bezahlung, hilfsweise um die Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers, von Vollarbeitsstunden, welche der Kläger aufgrund des bei der Beklagten praktizierten Dienstplanmodells nicht erbracht hat, von denen der Kläger jedoch meint, Anspruch darauf zu haben, sie zu erbringen. Weiterhin macht der Kläger die Feststellung geltend, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger Bereitschaftsdienst nur außerhalb der vertraglich geschuldeten Sollarbeitszeit anzuordnen sowie um die Feststellung, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, mehr als 48 Stunden in der Woche, hilfsweise mehr als durchschnittlich 48 Stunden in der Woche, abzuleisten. Daneben macht der Kläger Zahlungsansprüche aus den allgemeinen Regeln der unionsrechtlichen Staatshaftung für Schäden geltend. Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen bezüglich der Vollarbeitsstunden macht der Kläger die Bezahlung, hilfsweise die Stundengutschrift von Bereitschaftsdienststunden geltend.
Der Kläger ist unter Anrechnung von Vordienstzeiten seit dem 07.11.1991 bei dem Beklagten zuletzt als Rettungsassistent zu einem monatlichen Tabellenentgelt in Höhe von 2.452,92 € brutto bis zum 31.12.2012, in Höhe von 2.491,65 € brutto für die Zeit vom 01.01.2013 bis 30.06.2013 und in Höhe von 2.568,89 € brutto seit dem 01.07.2013 beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein am 13.02.1992 geschlossener schriftlicher Vertrag zugrunde (Bl. 12 u. 13 d. A.). Der Vertrag lautet - soweit hier von Bedeutung - wie folgt:
"§ 1
Herr ... tritt ab 07.11.1991 als Transportbegleiter/Kraftfahrer in den Dienst des ... mit der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters ein. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt derzeit 40 Stunden.
...
§ 2
Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. ...
..."
Die AVR und deren hier relevante Anlage 8 lauten für den maßgeblichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:
"§ 9 Arbeitszeit
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 39 Stunden wöchentlich (Anm. d. Verf.: nach Sonderregelung AVR - Fassung Ost - im Freistaat Sachsen 40 Stunden). Die Woche beginnt am Montag um 0.00 Uhr und endet am Sonntag um 24.00 Uhr. Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von einem Kalenderjahr zugrunde zu legen.
...
§ 9b Arbeitszeitkonten
(1) Die Dienstgeberin bzw. der Dienstgeber richtet für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter ein Jahresarbeitsz...