Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Urlaubsentgelts abweichend vom Referenzprinzip des § 11 Abs. 1 BUrlG. Berechnung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach tariflichen Vorschriften. Entgeltausfallprinzip für das fortzuzahlende Entgelt eines Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (redaktionell)
1. Die infolge Urlaubs ausfallende Arbeitszeit ist nach dem in § 11 Abs. 1 BUrlG geregelten Referenzprinzip zu vergüten. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann auf Grundlage von Tarifverträgen eine andere Berechnung erfolgen, grundsätzlich auch zuungunsten des Arbeitnehmers. Die tarifliche Regelung muss aber sicherstellen, dass mindestens das Entgelt gezahlt wird, das bei Fortführung der Arbeit ohne urlaubsbedingte Freistellung gewöhnlich verdient würde.
2. Nach § 4 Abs. 4 EFZG kann durch Tarifvertrag eine von § 4 Abs. 1 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden. Aus § 12 EFZG ergibt sich im Rückschluss, dass die Abweichung auch zuungunsten des Arbeitnehmers erfolgen kann. Dabei ist zu beachten, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht in seiner Substanz angegriffen werden darf.
3. Nach § 37 Abs. 1 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien. Es steht also dem Betriebsratsmitglied das Arbeitsentgelt zu, das es gemäß § 611a Abs. 1 BGB erzielt hätte, wenn es gearbeitet hätte (Entgeltausfallprinzip). Dieser Entgeltanspruch kann in einem Tarifvertrag nicht modifiziert werden.
Normenkette
BGB § 611a Abs. 1; BUrlG § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1; EFZG §§ 4, 12; BetrVG § 37 Abs. 2, § 78 S. 2; MTV LEAG v. 09.11.2016 §§ 21-22, 29 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Bautzen (Entscheidung vom 23.07.2021; Aktenzeichen 6 Ca 6235/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 23. Juli 2021 zum Az. 6 Ca 6235/20 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen sowie unter Zurückweisung der Berufung des Klägers abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit von Juli 2019 bis April 2020 weitere Zuschläge i. H. v. 389,92 € brutto zu zahlen nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.09.2020.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger zu 81 %, die Beklagte zu 19 %.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten bezüglich des Zeitraums Juli 2019 bis April 2020 um Zuschlagszahlungen für Tage, an denen der Kläger wegen Urlaub, Krankheit, Betriebsratstätigkeit oder aus anderen Gründen von seiner Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit war.
Die Parteien sind seit 1994 durch Arbeitsvertrag verbunden. Auf das Arbeitsverhältnis findet der zwischen dem Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e.V. (AVEU) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (Hannover) abgeschlossene Manteltarifvertrag für die Lausitz Energie Bergbau AG und die Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG-Gruppe) vom 09.11.2016 Anwendung (im Weiteren MTV LEAG). Der Kläger erhält ein Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Tarifgruppe E/Stufe 1 in Höhe von derzeit 3.551,19 € brutto. Darüber hinaus erhält er Zulagen und Zuschläge, sodass die Höhe des monatlichen Arbeitsentgelts variiert. Zu den Zuschlägen regelt der MTV LEAG Folgendes:
"§ 20 Allgemeine Zuschlagsregelungen
1. Bei den Zuschlägen wird unterschieden zwischen Zuschlägen für Mehrarbeit (§ 21) und Zuschlägen für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit (§ 22).
2. ...
3. Für Arbeitnehmer im Schichtdienst werden die Zuschläge für dienstplanmäßige Arbeitszeit grundsätzlich ausgezahlt. Sollten für dienstplanmäßige Arbeitsstunden Zuschläge anfallen, die in voller Höhe steuerpflichtig sind, kann der Arbeitnehmer vorher bestimmen, dass diese Zuschläge für mindestens einen Kalendermonat seinem Langzeitkonto gutgeschrieben werden.
4. Basis für die Berechnung ist die Stundenvergütung. Der monatliche Stundenteiler beträgt 1/161.
...
§ 22 Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit
1. An Sonn- und Feiertagen sowie für Nachtarbeit fallen die unten genannten Zuschläge an.
a) Für dienstplanmäßige Arbeitszeit werden folgende Zuschläge gezahlt:
aa) Sonntage: ...
bb) Feiertage ...
cc) Nachtarbeit: ...
b) Für Arbeitszeit nach § 7 (Mehrarbeit) werden folgende Zuschläge gezahlt:
aa) Sonntage: ...
bb) Feiertage ...
cc) Nachtarbeit: ...
§ 29 Fortzuzahlendes Entgelt
1. Für Urlaub (§ 9), Krankheit (§ 30), Feiertage, Freistellungen (§§ 10, 11) und sonstige Fälle, in denen der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei ausfallender Arbeitsleistung das Entgelt fortzuzahlen, wird die monatliche Grundvergütung, eine etwaige Schichtzulage (§ 23), eine etwaige Ausgleichszulage nach § 34 und nach § 6 TV Sozialpolitische Begleitung sowie eine etwaige Vertretungszulage (§ 27) fortgezahlt.
2. Zusätzlich erhält der Arbeitnehmer den Durchschnitt der in den letzten 6 abgerechneten Monaten gezahlten Erschwernisz...