Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung des Betriebsübernehmers an die arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung beinhaltet deren dynamische Anwendung.

2. Dies folgt daraus, dass kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine Tarifverträge i.S. des TVG darstellen, weil sie nicht nach dessen Maßgabe, insbesondere nicht unter Beteiligung von Gewerkschaften zustande gekommen sind (§ 2 Abs. 1 TVG).

3. Sind die AVR somit als individualrechtliche Regelung zu verstehen, nicht aber kollektivrechtlich ranggleich mit Tarifverträgen, so ist für eine einschränkende Auslegung der Geltung der Dynamik auf einen kirchlichen Arbeitgeber kein Raum.

4. Die dynamisch vereinbarte Geltung der AVR geht im Falle eines Betriebsübergangs gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf den Übernehmer über.

5. Die Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 (C -426/11- Alemo-Herron) zwingt nicht zu einer europarechtskonformen Auslegung dahingehend, dass der Betriebsübernehmer nicht an die arbeitsvertraglich vereinbarte dynamische Anwendung der AVR gebunden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 613a Abs. 1, §§ 133, 157; TVG § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 25.06.2015; Aktenzeichen 7 Ca 522/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 25. Juni 2015 - 7 Ca 522/15 -

a b g e ä n d e r t :

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 445,72 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 56,11 € seit dem 16. Juli 2014, aus 53,76 € seit dem 16. August 2014, aus 54,63 € seit dem 16. September 2014, aus 55,94 € seit dem 16. Oktober 2014, aus 53,26 € seit dem 16. November 2014, aus 55,94 € seit dem 16. Dezember 2014, aus 54,68 € seit dem 16. Januar 2015 und aus 61,42 € seit dem 16. Februar 2015 zu bezahlen.

Der Beklagte wird verpflichtet, die von der arbeitsrechtlichen Kommission der ... in Deutschland mit Beschluss vom 10. Juli 2014 beschlossene Erhöhung der Entgelte ab 1. Juli 2014 in Höhe von 1,9 Prozent auch in Zukunft an den Kläger zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz hat der Kläger zu einem Drittel und der Beklagte zu zwei Dritteln zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte an den Kläger dasjenige von der Arbeitsrechtlichen Kommission des ... in Deutschland mit Beschluss vom 10. Juli 2014 um 1,9 Prozent erhöhte Arbeitsentgelt für den Zeitraum von Juli 2014 bis Februar 2015 und künftig zu zahlen hat.

Der Kläger wurde zum 1. Juni 1994 als Rettungssanitäter von der ... e. V., einer Einrichtung des ..., eingestellt. Nach § 2 des zugrunde liegenden Dienstvertrages vom 3. Juni 1994 (Anlage K 1, Bl. 5 f. d. A.) gelten für das Dienstverhältnis "die Arbeitsvertragsrichtlinien des ... in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung".

Aufgrund eines Betriebsüberganges nach § 613 a BGB trat der Beklagte mit Wirkung zum 1. Januar 2014 in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ein. Mit Beschluss vom 10. Juli 2014 beschloss die Arbeitsrechtliche Kommission der ... Deutschland (ARK) eine rückwirkende Erhöhung der Entgelte für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (ausgenommen Ärztinnen und Ärzte) um 1,9 Prozent zum 1. Juli 2014. Mit der am 12. Februar 2015 eingegangenen Klage begehrt der Kläger die 1,9-prozentige Erhöhung seines Entgelts.

Der Kläger hat vorgetragen, aufgrund der dynamischen Bezugnahmeklausel in § 2 seines Arbeitsvertrages gölten die AVR in ihrer jeweiligen Fassung auch bei dem Beklagten als Betriebserwerber. Deshalb sei der Beklagte verpflichtet, die 1,9-prozentige Entgelterhöhung an den Kläger zu bezahlen. Dem stehe die sogenannte Alemo-Herron-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nicht entgegen, weil sie die Rechtslage im Vereinigten Königreich betreffe. Diese unterscheide sich von der deutschen Rechtslage. Nach deutschem Recht habe der Beklagte die Möglichkeit, Einfluss auf die Vertragsgestaltung etwa dadurch zu nehmen, dass er die dynamische Geltung einzelvertraglich oder durch Änderungskündigung ändere.

Ein etwaiger Eingriff in die unternehmerische Entscheidung liege deshalb nicht vor.

Die zu Tarifverträgen ergangene Rechtsprechung sei vorliegend deshalb nicht übertragbar, weil die AVR keine Tarifverträge seien. Deshalb verbiete sich auch eine Auslegung der AVR nach den Grundsätzen der sogenannten Gleichstellungsabrede.

Der Kläger hat nach teilweiser Klagerücknahme beantragt:

1. Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klagende Partei 485,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 57,06 € seit 16.07.2014, 55,68 € seit 16.08.2014, 55,57 € seit 16.09.2014, 56,93 € seit 16.10.2014, 82,86 € ...

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