Entscheidungsstichwort (Thema)
Umkleidezeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Ermittlung des erforderlichen Zeitanteils für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung inklusive der Wegezeit im Betrieb. Schätzung des erforderlichen Zeitanteils durch das Gericht
Leitsatz (redaktionell)
1. Vergütungspflichtig ist die Zeit, die für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und das Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege erforderlich ist.
2. "Erforderliche Umkleidezeit" ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle benötigt. Anzulegen ist dabei ein modifizierter subjektiver Maßstab.
3. Sind Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden und kann der Arbeitnehmer indessen seiner Darlegungs- und Beweislast für den zeitlichen Umfang nicht genügen, ist das Gericht befugt, die erforderliche Zeit zu schätzen.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; ZPO §§ 286, 287 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 24.08.2017; Aktenzeichen 1 Ca 240/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 24.08.2017 - 1 Ca 240/17 - teilweise abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen, als das Arbeitsgericht in der Ziffer 2 seines Urteilstenors festgestellt hat, dass Umkleidezeiten des Klägers (Berufskleidung) in einem Umfang von sechs Minuten pro Umkleidung vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil oder einer gleichwertigen Entscheidung zu den Kosten vorbehalten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug - soweit für dieses Teilurteil von Belang - unverändert darüber, ob die unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Klägers erforderlichen Umkleidezeiten, mindestens jedoch sechs Minuten pro Umkleidung, vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Der am ...1973 geborene Kläger ist seit dem 11.05.1998 als Rettungssanitäter tätig.
Er arbeitete zunächst für den ... e. V. Für diesen war er zuletzt in einer Rettungswache in ... tätig. Im Zuge der Ausschreibung des Rettungsdienstes zum Jahreswechsel 2013/2014 ging das Arbeitsverhältnis zum 01.01.2014 auf die Beklagte, die jetzige Arbeitgeberin des Klägers, über.
Während der mit RTW, KTW und NEF bezeichneten Dienste ist der Kläger verpflichtet, eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) bestehend aus Schuhen, Jacke, Weste und Hose zu tragen. Ein Qualitätsmanagement-Handbuch vom 12.06.2013 enthielt u. a. die Regelung, dass die Arbeitskleidung erst in der Wache angelegt werden dürfe. Nach einem Hygieneplan war festgelegt, dass das Umkleiden bei der Arbeit und im Umkleideraum stattzufinden habe. In einem Qualitätsmanagement-Handbuch vom 06.10.2014 ist eine entsprechende Verpflichtung nicht mehr enthalten.
Bei seiner Einstellung sowie in späteren Unterweisungen war der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die PSA nicht zu Hause gereinigt werden dürfe und grundsätzlich am Dienstort angezogen werde. Den Mitarbeitern wurde das Fahren mit angelegter Dienstkleidung im privaten Pkw untersagt.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, der Umkleidevorgang dauere im Durchschnitt jeweils sechs Minuten. Bei den Umkleidezeiten handele es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeiten, die dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto gutzuschreiben seien.
Der Kläger hat - soweit für dieses Teilurteil von Relevanz - erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass die unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlichen Umkleidezeiten (Berufskleidung), mindestens jedoch sechs Minuten pro Umkleidung, vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Umkleidezeiten seien nicht zusätzlich zu vergüten. Es gebe jedenfalls aktuell keine Anweisung der Geschäftsleitung an den Kläger oder andere Mitarbeiter, die Dienstkleidung ausschließlich an der Arbeitsstelle an- bzw. auszuziehen. Zudem sei vom Kläger nicht dargelegt worden, dass er die Kleidung regelmäßig am Arbeitsort an- und wieder ausgezogen habe. Jedenfalls sei die vom Kläger angesetzte Dauer von sechs Minuten zu lang. Ein Umkleidevorgang dauere etwa 181 bis 194 Sekunden.
Der pauschale Ansatz von sechs Minuten pro Umkleidevorgang sei unzulässig. Der Kläger könne sich nicht auf § 287 ZPO stützen, weil er insbesondere zum Faktor Zeit keine Anknüpfungstatsachen liefere. Ebenso wenig würden Anknüpfungstatsachen zum Ausschöpfen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit sowie der Erforderlichkeit vorgetragen.
Darauf hat der Kläger zum Ablauf des Umziehens wie folgt repliziert:
Ablauf des Umziehens bei Dienstbeginn
Tätigkeit |
Dauer (Näherungswerte) |
1. PSA - Einzelstücke - aus den Wäschefächern (1 Fach Hose, 1 Fach Hemd, Arbeitsschuhe Regal, Fleecejacke hängt im Spind, Dienstjacke hängt im Spind) |
60 Sekunden |
2. Ausziehvorgang |
75 Sekunden |
2.1. Privatjacke ausziehen und hinlegen |
15 Sekunden |
2.2. Pullover oder Fleecejacke ausziehen und hinlegen |
15 Sekunden |
2.3. Hemd ausziehen und hinleg... |