Verfahrensgang

ArbG Dresden (Urteil vom 04.11.1993; Aktenzeichen 5 Ca 602/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.10.1997; Aktenzeichen 8 AZR 751/95)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 04.11.1993 – 5 Ca 602/93 – teilweise abgeändert.

1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung mit Schreiben des Beklagten vom 21.12.1992 endete.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

III. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer auf die Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Ziff. 1 Abs. 5 Nr. 2 zum Einigungsvertrag gestützten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen mit Schreiben des Oberschulamtes D. vom 21.12.1992.

Der am 09.10.1945 geborene Kläger legte im Jahre 1968 am Pädagogischen Institut K. das Staatsexamen als Fachlehrer für Mathematik/Chemie ab (Urkunde Bl. 179/180 d.A.). Ab August 1968 war der Kläger als Lehrer, später auch als Fachberater Chemie an Schulen des Kreises G. tätig. Seit 1990 übte der Kläger die Funktion des Leiters des Schulamtes G. aus, später diejenige des Leiters der Außenstelle G. des Staatlichen Schulamtes R. Ab 13.05.1992 war der Kläger stellvertretender Leiter des Staatlichen Schulamtes R..

Der Kläger war als Schüler in den Jahren 1962 bis 1964, als Student in den Jahren 1964 bis 1968 und sodann in den ersten Dienstjahren als Lehrer bis 1971 als Betreuer, Reiseleiter und Dolmetscher für die französische Sprache des Jugendreisebüros „Jugend-Auslands-Touristik” in D. im Auftrage des Zentralrates der FDJ tätig. Hierzu gehörte die Betreuung ausländischer Reisegruppen.

Wegen dieser Tätigkeit interessierte sich das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für den Kläger (im Sprachgebrauch des MfS: „Absicherung der Auslandstouristen”). Es kam zu einer ersten Kontaktaufnahme am 19.05.1969. Am 11.05.1970 gab der Kläger dem Mitarbeiter des MfS gegenüber folgende handschriftliche Verpflichtungserklärung ab (Bl. 31 d.A.):

„Hiermit verpflichte ich mich, über die geführten Gespräche mit den MA des MfS sowie allen weiteren gegenüber jederman auch meinen nächsten Verwandten gegenüber größtes Stillschweigen zu bewahren.

Ich erkläre mich bereit, das MfS in seiner Arbeit bei der Aufklärung feindlicher Pläne und Absichten entsprechend meinen Möglichkeiten zu unterstützen. Die im Zusammenhang mit meiner speziellen Einsatzrichtung (auf dem Gebiet des Tourismus) erhaltenen Aufträge, werde ich in ehrlicher und gewissenhafter Form entsprechend den festgelegten Vereinbarungen versuchen zu lösen. In der weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS wird meinerseits die Frage der Geheimhaltung gegenüber jederman gewährleistet und das bestehende gute Vertrauensverhältnis durch eine ständig offene und ehrliche Atmosphäre garantiert. Zur Aufrechterhaltung der Verbindung und der von mir angefertigten Berichte verwende ich den Decknamen:

(Bernd Ullmann)”.

Auf Antrag des Beklagten übersandte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im folgenden: der Bundesbeauftragte) mit Schreiben vom 16.11.1992 (Bl. 27/28 d.A.) dem Präsidenten des Oberschulamtes D. einen Einzelbericht über den Kläger (Bl. 29/30 d.A.) sowie als Anlagen neben der Verpflichtungserklärung vom 11.05.1970 einen Bericht über die Situation an den Schulen vom 25.01.1970 (Bl. 32 d.A.), einen Treffbericht mit IM Vorlauf vom 13.03.1970 (Bl. 33/34 d.A.), einen Auskunftsbericht vom 17.07.1970 (Bl. 35/36 d.A.) sowie die Begründung der Ablage vom 02.01.1973 (Bl. 37 d.A.). In dem Einzelbericht heißt es, die Akte I (Personalakte) bestünde aus 48 Blatt, die Akte II (Arbeits-, Berichtsakte) sei noch nicht auffindbar. Bisher lägen lediglich 7 Treffberichte und 2 Stimmungsberichte vor. Treffs hätten in Abständen von 3 Wochen in einer konspirativen Wohnung stattgefunden. Wie aus der Begründung zur Ablage vom 02.01.1973 hervorgehe, sei der Kläger zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS nach Ende seiner Reiseleitertätigkeit (Ende 1970) zu einer Zusammenarbeit nur bereit gewesen, sofern er auf dem Gebiet der Touristik Aufträge erhalte; andere Aufgaben, so hätte er erklärt, würde er nicht übernehmen.

Mit Erklärung vom 10.02.1991 (Bl. 38/39 d.A.) verneinte der Kläger Fragen nach einer Tätigkeit für das MfS, verwies jedoch bei der Frage 1.3. „Haben Sie solche Kontakte gehabt, die zu Ihrer Anwerbung führen sollten, was Sie aber ablehnten?” auf eine Anlage (Bl. 40 d.A.). In dieser berichtete er, während seiner Tätigkeit für das Jugendreisebüro sei ein Polizist in Zivil erschienen, der Einsicht in die Betreuerberichte verlangt hätte. In der Folgezeit sei der Kläger drei- bis viermal in die Wohnung eines Abschnittsbevollmächtigten bestellt worden. Dort sei Einsicht genommen und statistische Erhebungen gemacht worden. Er hätte eine Erklärung unterschrie...

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