Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den gesetzlichen Mindestlohn
Leitsatz (redaktionell)
1. § 1 Abs. 2 S.1 MiLoG verbietet nicht die Vereinbarung von Stück- und Akkordlöhnen. Ein nicht auf Stunden bezogener Zeitlohn ist daher umzurechnen.
2. Auf den Mindestlohn anzurechnen sind sämtliche Vergütungsbestandteile, durch die die "Normalleistung" eines Arbeitnehmers abgegolten werden soll.
3. Durch eine an den Rohertrag geknüpfte Provision wird die Normaltätigkeit einer Verkäuferin abgegolten. Gleiches gilt für ein Entgelt für Nähleistungen.
4. Jedoch ist ein Entgelt für "Rückläufer", d.h. Verkäufe auf der Basis von von dem jeweiligen Arbeitnehmer verteilten Rabattkarten nicht auf den Mindestlohn anzurechnen, soweit von dem Arbeitnehmer erwartet wird, dass er die Rabattkarten nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb seiner regulären Arbeitszeit verteilt.
5. Eine funktionale Gleichwertigkeit des gezahlten Urlaubsgeldes mit dem gesetzlichen Mindestlohn ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn Anknüpfungspunkt für das zusätzliche Urlaubsgeld nach der tariflichen Regelung gerade nicht die Arbeitsleistung, sondern die Dauer des Urlaubs ist.
6. Auch der Arbeitgeberbeitrag zu den vermögenswirksamen Leistungen ist nicht auf den Mindestlohn anzurechnen.
Normenkette
MiLoG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Zwickau (Entscheidung vom 10.11.2015; Aktenzeichen 7 Ca 716/15) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 10.11.2015 - 7 Ca 716/15 - unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Januar 2015 weitere 0,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.02.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Februar 2015 weitere 96,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Juni 2015 weitere 111,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.07.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat September 2015 weitere 90,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.10.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 82 % und die Beklagte 18 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 73 % und die Beklagte 27 % zu tragen.
3. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob neben einem Grundgehalt erzielte Vergütungsbestandteile auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können.
Die Beklagte betreibt unter der Bezeichnung "..." in den neuen Bundesländern 52 Filialen zum Verkauf von Raumausstattungsprodukten.
Die Klägerin wird von der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 20.07.1994 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 22.04.2015; Bl. 10/11 d. A.) als Verkäuferin mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von zuletzt 39 Stunden beschäftigt.
Regelmäßiger Arbeitsort ist die Filiale in ... Daneben arbeitete die Klägerin im Streitzeitraum auch in den Filialen in ... und .... Unter § 1 Abs. 3 des Arbeitsvertrages ist bestimmt:
"Für das Arbeitsverhältnis gilt, soweit in diesem Vertrag nichts anderes geregelt ist, der Manteltarifvertrag für Angestellte des allgemeinen Einzelhandels in der jeweils gültigen Fassung sowie die bestehenden betrieblichen Regelungen (z.B. Arbeitszeitregelung)."
Weiter heißt es unter § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages:
"Sondervergütungen (Urlaubs- und Weihnachtsgratifikation) werden nach dem jeweils gültigen Manteltarifvertrag des allgemeinen Einzelhandels gezahlt."
Im Manteltarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel im Freistaat Sachsen (MTV) vom 27.05.1994 in der Fassung vom 22.08.2008 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 30.03.2016; Bl. 354 ff. d. A.) ist in § 12 "Sonderzahlungen" unter dem Punkt A. "Urlaubsgeld" u.a. Folgendes bestimmt:
1. Nach Ablauf einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von 6 Monaten haben Arbeitnehmer/-innen, Auszubildende und denen Gleichzustellende Anspruch auf Urlaubsgeld im Kalenderjahr nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen.
(...)
6. Maßgebend für die Bemessung des Urlaubsgeldes ist das Beschäftigungsverhältnis und die Zahl der vollen Lebensjahre am 1. Januar (Stichtag) des jeweiligen Kalenderjahres. (...)
8. Das Urlaubsgeld wird fällig, wenn mindestens die Hälfte des tariflich zustehenden Jahresurlaubes gewährt und genommen wird. (...)
Neben einem (Grund-)Gehalt in Höhe von zuletzt 1.124,84 brutto zahlte die Beklagte an die Klägerin ab dem 16.03.2013 monatliche Provisionen für ...