Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifbindung in der Entsorgungswirtschaft. Einvernehmliche Änderung des Umfangs der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband. Unbegründete Differenzlohnklage bei satzungsmäßiger Trennung der Organisationseinheiten “Arbeitgeberverband„ und “Wirtschaftsverband„

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Tarifgebundenheit an einen konkreten Tarifvertrag erfordert nicht allein die Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband. Sie bestimmt sich vielmehr auch nach dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des konkreten Tarifvertrages.

2. Den Tarifvertragsparteien ist es gestattet, den betrieblichen oder fachlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages auf einen abgrenzbaren Teil der Mitglieder eines Arbeitgeberverbandes zu beschränken.

3. Soll durch eine Kündigung der Arbeitgeberin, die nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens auf eine sofortige Beendigung der Mitgliedschaft im “Arbeitgeberverband„ gerichtet ist, die Tarifbindung beendet werden, indem “die Entlassung„ der Arbeitgeberin aus der Organisationseinheit “Arbeitgeberverband„ bei gleichzeitigem Verbleib in der Organisationseinheit “Wirtschaftsverband„ erfolgt, stellt dieses Verhalten eine einvernehmliche Änderung des Umfangs der Mitgliedschaft der Arbeitgeberin dar, gegen deren Wirksamkeit keine Bedenken bestehen.

4. Rechtsfolge des Herausfallens der Arbeitgeberin aus dem Geltungsbereich der vom Arbeitgeberverband abgeschlossenen Tarifverträge ist, dass diese Tarifverträge nicht mehr gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend galten sondern in analoger Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG kraft Nachwirkung auf die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse mit tarifgebundenen Arbeitnehmern anzuwenden sind.

 

Normenkette

TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 5

 

Verfahrensgang

ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 05.02.2014; Aktenzeichen 11 Ca 985/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.11.2016; Aktenzeichen 4 AZR 698/14)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 05.02.2014 - 11 Ca 985/13 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 05.02.2014 - 11 Ca 985/13 - teilweise abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

4. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit Differenzvergütungsforderungen des Klägers für die Zeit von November 2012 bis September 2013 sowie den Forderungen des Klägers auf Zahlung einer tariflichen Sonderzahlung und einer tariflichen Einmalzahlung für das Jahr 2012 über die Frage, ob die Beklagte seit dem 01.05.2002 noch an die jeweils geltenden Tarifverträge des Streitverkündeten gebunden ist.

Gegenstand des Unternehmens der Beklagten, welche diverse Niederlassungen in Sachsen unterhält und dort ca. 550 Arbeitnehmer beschäftigt, ist ausweislich des Handelsregisters die Durchführung von Umweltdiensten jeglicher Art, insbesondere Entsorgung der Städte und Gemeinden sowie Industriebetriebe von Haus- und Industriemüll, Asche und anderen Abfällen sowie Abfallverwertung, Straßenreinigung und Durchführung des Straßenwinterdienstes, Kanalinspektion, Kanalreinigung und Kanalsanierung, Durchführung von Bestattungen aller Art, alle damit im Zusammenhang stehenden notwendigen Tätigkeiten sowie weitere Geschäftsoperationen, die direkt oder indirekt der Gesellschaft der Beklagten förderlich sind. Die Beklagte war seit dem 01.05.1991 ordentliches Mitglied des Streitverkündeten.

Die Satzung des Streitverkündeten enthält in der Fassung vom 19.09.1986 (Anlage HWL 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.05.2013; Bl. 250 ff. d. A.) u. a. folgende Regelungen:

§ 1 Name, Sitz

(1) Die Betriebe der Entsorgungswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland bilden einen Verband. Er hat auch die Aufgaben eines Arbeitgeberverbandes.

(2) Der Verband führt den Namen ... e. V. - VPS -. (...) § 2 Zweck

(1) Zweck des Verbandes ist

1. (...)

6. der Abschluss von Tarifverträgen. (...)

Abweichend vom Vorstehenden bestimmt die Satzung des Streitverkündeten in der Fassung vom 10.11.1994 (zu den Einzelheiten der Satzung vgl. die Anlage HLW 16 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.05.2013; Bl. 327 ff. d. A.) unter ihrem § 1 Abs. 1 Satz 2: "Er hat die Aufgaben eines Fach- und Arbeitgeberverbandes". § 5 Abs. 2 der Satzung des Streitverkündeten in der Fassung vom 10.11.1994 lautet wie folgt:

Ordentliche und diesen gleichgestellte Mitglieder erwerben in der Regel mit der Mitgliedschaft im Bundesverband sowohl die Mitgliedschaft im Fachverband und im Arbeitgeberverband (§ 1 Abs. 1). Auf besonderen Antrag, der dem Präsidium zur gesonderten Entscheidung vorgelegt werden muss, kann auch nur die Mitgliedschaft im Fachverband erworben werden, insbesondere, wenn eine tarifliche Bindung aufgrund eines anderen Tarifvertrages nachgewiesen wird.

Weitergehende Satzungsänderungen erfolgten in der Fassung vom 17.09.1999

(Anlage HLW 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.05.2013; Bl....

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