Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit und Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes. Rechtswidrige Schlechterstellung eines freigestellten Schichtarbeiters bei Abweichung von betriebsüblicher Grundvergütung
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats und anderer Gremien wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; das gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
2. Eine Benachteiligung im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG ist jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Beschäftigten, die nicht auf sachlichen Gründen sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht; eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich, vielmehr genügt die objektive Schlechterstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern.
3. Die verbotene Benachteiligung kann sowohl in einer einseitigen Maßnahme der Arbeitgeberin als auch in einer vertraglichen Vereinbarung liegen.
4. Es stellt eine nicht auf sachlichen Gründen beruhende Schlechterstellung des Betriebsratsmitglieds dar, wenn die Arbeitgeberin für die vollständige Erlangung der vereinbarten Grundvergütung verlangt, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der bestehenden vertraglichen Vereinbarung durchschnittlich 40 Wochenstunden Betriebsratsarbeit leistet, wenn die anderen Schichtarbeiter ihre vertraglich vereinbarte Grundvergütung regelmäßig auch dann vollständig erhalten, wenn sie "nur" die im Schichtsystem durchschnittlich anfallenden 36,75 Wochenstunden leisten.
5. § 37 Abs. 2 BetrVG nimmt der Arbeitgeberin lediglich den Einwand des nicht erfüllten Vertrags und begründet keinen eigenständigen Vergütungsanspruch sondern sichert den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag sowie einem anzuwendenden Tarifvertrag; das Verbot der Entgeltminderung soll die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Übernahme eines Betriebsratsamts fördern, indem es ihm die Befürchtung nimmt, durch die Wahrnehmung eines Ehrenamts Einkommenseinbußen zu erleiden.
6. Ein Anspruch gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ist ausgeschlossen, wenn nicht zu erkennen ist, dass der Arbeitnehmer die von ihm verlangte weitere Vergütung als Schichtarbeiter erhalten hätte.
7. Die Regelung des § 37 Abs. 3 BetrVG geht vom Vorrang des Freizeitausgleichs vor dessen Abgeltung durch einen Vergütungsanspruch aus; nur bei einer auf betriebsbedingten Gründen beruhenden Unmöglichkeit der Gewährung von Arbeitsbefreiung kommt eine Vergütung der aufgewendeten Zeit in Betracht.
8. Zur Durchsetzung eines Vergütungsanspruchs nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG hat der Arbeitnehmer darzulegen, dass er von der Arbeitgeberin einen Freizeitausgleich verlangt hat.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2, 3 S. 3, § 78 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Entscheidung vom 25.03.2015; Aktenzeichen 10 Ca 3571/14) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 25.03.2015 - 10 Ca 3571/14 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, das jeweilige monatliche Grundgehalt des Klägers bereits dann vollständig zu zahlen, wenn der Kläger Betriebsratsarbeit im Umfang von durchschnittlich 36,75 Wochenstunden geleistet hat.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 16 % und die Beklagte 84 % zu tragen.
3. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang der vom Kläger als freigestelltem Betriebsratsmitglied zu leistenden "Arbeitszeit" und über sich daraus für die Vergangenheit ergebende weitere Vergütungsansprüche.
Die Beklagte betreibt zusammen mit der ... & Co. KG und der ... & Co. KG am Standort in ... einen gemeinsamen Betrieb zur Produktion von Halbleiterprodukten mit insgesamt ca. 3.900 Mitarbeitern, davon ca. 160 Leiharbeitnehmern. Die Produktion erfolgt vollkontinuierlich 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche.
Ca. 50 % aller Mitarbeiter sind in der Produktion und in die Produktion unterstützenden Bereichen im vollkontinuierlichen Schichtsystem eingesetzt. Die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit aller in der Produktion im Schichtdienst eingesetzten Vollzeitmitarbeiter beträgt durchschnittlich 40 Stunden pro Woche. Kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme galt für alle Mitarbeiter die Arbeitsordnung vom 01.08.1996 in der Fassung vom 01.03.2004 (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 20.01.2015; Bl. 73 ff. d. A.). In einer Anlage zur Arbeitsordnung (Bl. 93/94 d. A.) war das bis zum 04.01.2015 geltende "CPS-Schicht-System" geregelt.
Danach waren die Mitarbeiter acht Schichtteams permanent zugeordnet, die ausschließlich in Tag bzw. Nachtschichten eingesetzt wurden. Die Arbeit erfolgte in 14-Tage-Zyklen, wobei an insgesamt sieben Tage der reguläre Schichtdienst zu leisten war. Die volle Schichtanwesenheit bestand aus 10,5 Stunden bezahlter Zeit und 1,5 Stunden unbezahlter Pausenzeit, mithin durchsc...