Verfahrensgang

KreisG Görlitz (Urteil vom 28.04.1992; Aktenzeichen IV Ca 3322/91)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.04.1994; Aktenzeichen 8 AZR 711/92)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Kreisgerichts Görlitz vom 28. April 1992 – IV Ca 3322/91 –

abgeändert.

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 11. Oktober 1991 nicht aufgelöst wurde, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Lehrer bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der 53jährige Kläger trat nach Abschluß seiner Ausbildung im Jahre 1960 in den Schuldienst als Fachlehrer für Mathematik und Physik ein. Im Jahre 1970 besuchte er die SED-Kreisparteischule. Danach übernahm er von 1970 bis 1981 die Stellung eines Direktors an der Polytechnischen Oberschule W. Von 1981 bis 1990 wurde er als Kaderreferent in der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Z. eingesetzt. Als Kaderreferent war er dem Kaderleiter, der gleichzeitig 1. Stellvertreter des Kreisschulrates war, nachgeordnet, der wiederum dem Kreisschulrat direkt unterstellt war. Als Kaderreferent hatte der Kläger folgende Aufgaben wahrzunehmen:

  • Erarbeitung der Stundennachweise und Stellenpläne in Zusammenarbeit der Direktoren der Schulen und Leiterinnen der Kindergärten. Bei Ausfall von Lehrkräften oder Erziehern hatte er die Aushilfe von Einrichtung zu Einrichtung zu organisieren und den Ausfall so gering wie möglich zu halten.
  • Auf der Grundlage der Stundennachweise und der Statistik hatte er die Anforderungen von Absolventen (Berufsanfänger) vorzubereiten und zu begründen. Er war auch für die Unterbringung der Absolventen zuständig.
  • Bearbeitung von beabsichtigten Arbeitsortsveränderungen von Lehrern innerhalb des Kreises und in andere bzw. von anderen Kreisen oder Bezirken ohne Entscheidungsbefugnis. Hierzu gehörte die Anforderung der Personalakten der betreffenden Lehrer und die Übergabe an den neuen Direktor oder Kreisschulrat, ferner die statistische Bearbeitung personeller Veränderungen im Verlaufe eines Jahres.
  • Der gesamte Schriftwechsel zu Teilberufsunfähigkeiten oder vollen Berufsunfähigkeiten von Lehrern. Dazu gehörte auch die Information und Beratung der Lehrer.
  • Ansprechpartner für arbeitsrechtliche Fragen von Lehrern.
  • Auf der Grundlage der Stundennachweise hatte er geplante variable Stunden und Überstunden rechtzeitig anweisen zu lassen.
  • Erarbeitung neuer Einstufungsbescheide für Lehrer bei Lohnerhöhungen.
  • Mitwirkung bei der Erarbeitung des Arbeitskräftedatenspeichers (AKDS).

Ab 16. Juli 1990 wurde der Kläger wieder als Fachlehrer für Mathematik und Physik an der Oberschule „J. F. in S. beschäftigt.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 1991, dem Kläger zugegangen am 29. Oktober 1991, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers unter Hinweis auf seine Tätigkeit als Kaderreferent. Hiergegen machte der Kläger am 11. November 1991 eine Kündigungsschutzklage anhängig.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei nicht persönlich ungeeignet für den Lehrerberuf. Als Kaderreferent sei er für die personalmäßige Bearbeitung der insgesamt 1.350 Arbeitnehmer der Volksbildung im Bereich des Rates des Kreises Z. zuständig gewesen. Hierzu hätten neben dem gesamten Lehrpersonal auch das technische Personal sowie die Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen gehört. Über die Einstellung und Entlassung von Lehrern habe er nicht zu entscheiden gehabt. Ein Vorschlagsrecht für durchzuführende Beförderungen habe ihm nicht zugestanden. Im übrigen habe ihn der Beklagte nach der insoweit weitergeltenden Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 20. November 1979 erst zum 31. August 1992 kündigen dürfen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 11. Oktober 1991 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

ferner – für den Fall, daß der Kläger mit dem Feststellungsantrag obsiegt –,

den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, der Werdegang des Klägers zwinge zu dem Schluß, daß er persönlich nicht zur Verwendung im Schuldienst geeignet sei.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat den Kläger für den Lehrerberuf als persönlich ungeeignet angesehen, weil er als politischer Funktionär an einer Schaltstelle gesessen habe, die das berufliche und private Schicksal von mehr als 1.300 Lehrern und Erziehern konzeptionell nach parteilichen und politischen Gesichtspunkten gesteuert habe. Damit sei die Besorgnis berechtigt, daß es dem Kläger nicht gelingen werde, jungen Menschen ein ganz anderes Verständnis von Staat und Gesellschaft aufzuschließen.

Gegen das dem Kläger am 20. Mai 1992 zug...

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