Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe. Lohnsteuerklassen. Rechtsmissbrauch

 

Leitsatz (redaktionell)

Rechtsmissbrauch wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn eine Erhöhung des Nettoeinkommens durch Änderung der Steuermerkmale ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgt, um die Leistungspflicht des Arbeitgebers zu erhöhen. Eine solche Ausnutzung einer steuerlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeit ist rechtsmissbräuchlich und deshalb auch unbeachtlich. Dabei kommt es auf Anlass und Zeitpunkt der Wahl zu Beginn oder im Lauf des Kalenderjahrs nicht an.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Urteil vom 25.05.2000; Aktenzeichen 8 Ca 6736/99)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.12.2003; Aktenzeichen 9 AZR 328/02)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 25.05.2000 – 8 Ca 6736/99 –

a b g e ä n d e r t :

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab März 1999 eine Übergangsbeihilfe zu zahlen, die bei ihrer Berechnung einen von der Klägerin ab Januar 1999 veranlassten Steuerklassenwechsel berücksichtigt.

Die 1944 geborene Klägerin, die verheiratet ist, war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger seit 01.09.1958 beschäftigt. Mit dem Aufhebungsvertrag vom 11.12.1997 (Bl. 4 ff. d. A.) vereinbarten die Parteien folgende Regelungen:

„1.

Die Vertragsparteien vereinbaren gemäß des Vorruhestandstarifvertrages der … (VorruheTV) in der Fassung vom 01.09.1996 und den ihn ergänzenden oder ändernden Änderungstarifverträgen einvernehmlich aus betriebsbedingten Gründen die Aufhebung des bestehenden Arbeitsvertrages, zuletzt geändert zum 01.04.1996, mit Ablauf des 28.02.1999.

3.

Frau … wird eine Überbrückungsbeihilfe gemäß des Vorruhestandstarifvertrages für Arbeitnehmer der … in der Fassung vom 01.09.1996 gewährt. Als Überbrückungsbeihilfe wird vom ersten Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses längstens bis zum Zeitpunkt des frühestmöglichen Bezugs einer gesetzlichen Rente wegen Alters bzw. der Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente) entweder die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld, der Arbeitslosenhilfe bzw. anderen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gezahlter Entgeltersatzleistungen und 85 v. H. des Nettomonatsentgelts gem. § 7 Abs. 1, Buchst. a) VorruheTV gezahlt.

…”

Die Beklagte erließ zum 01.01.1999 einen sog. Anwenderhinweis Nr. 1 zu § 7 Abs. 1 VorruheTV und § 3 Abs. 1 VorruheTV mit folgenden Inhalt:

„Änderung der Steuerklasse und/oder Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte Eine Änderung der Steuerklasse und/oder Freibeträge durch den Arbeitnehmer im Zeitraum von 12 Monaten vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wird bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe nicht berücksichtigt, es sei denn, der Arbeitnehmer weist ein berechtigtes Interesse an der von ihm gewählten Steuerklassenwahl und/oder Freibeträge nach.

…”

Der Hauptvorstand der GdED stimmte dem Anwenderhinweis mit Schreiben vom 16.07.1998 (Bl. 44 d. A.) zu.

Bis Ende 1998 wurde das Gehalt der Klägerin mit der Steuerklassenkombination IV/IV abrechnet. Mit Wirkung zum 01.01.1999 wechselten die Klägerin und ihr Ehemann in die Steuerklassenkombination III/V. Im Februar 1999 erhielt die Klägerin ein Nettogehalt in Höhe von 2.656,32 DM. Zur Berechnung der Überbrückungsbeihilfe legte die Beklagte stattdessen ein fiktives Nettogehalt in Höhe von 2.225,22 DM, errechnet nach der Steuerklasse IV, zugrunde. Die Beklagte errechnete so eine monatliche Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 1.891,44 DM.

Der Ehemann der Klägerin, ebenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter der Beklagten, bezog Leistungen nach dem Vorruhestandstarifvertrag. Seit 01.09.1999 bezieht er Altersrente. Zuvor war er arbeitslos.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Beklagte monatlich 366,43 DM Überbrückungsbeihilfe zu wenig bezahlt habe. Sie, die Klägerin, habe sich nicht rechtsmissbräuchlich verhalten. Der Steuerklassenwechsel sei aufgrund eines Rates des Steuerberaters im Mai 1998 veranlasst worden. Mit dem Steuerklassenwechsel sei ein geringerer Abzug von Steuern bewirkt worden. Durch das höhere Nettoeinkommen seien Instandhaltungsarbeiten am Haus ermöglicht worden. Ein Zuwarten bis zum Steuerausgleich durch das Finanzamt sei nicht zumutbar gewesen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt folgende Klaganträge gestellt:

  1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist bzw. war, an die Klägerin seit dem 01.03.1999 monatlich eine Überbrückungsbeihilfe gemäß des Vorruhestandstarifvertrages für Arbeitnehmer der … AG in der Fassung vom 01.09.1996 i. V. m. § 3 des Aufhebungsvertrages vom 11.12.1997 ausgehend von einem letzten Nettomonatsentgelt der Klägerin im Monat Februar 1999, berechnet aufgrund einer Lohnsteuerklasse III, in Höhe von 2.656,32 DM netto zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge