Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vorverfahren. Aufhebung eines Bescheids aufgrund Widerspruchs als Vollabhilfe trotz erneutem Erlass eines Bescheids mit gleichem oder ähnlichen Inhalt. Voll- und Teilabhilfe. Zulässigkeit einer Teilabhilfe und Bescheidung des Rests des Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid. Unzulässigkeit eines Widerspruchs gegen den (Teil-)Abhilfebescheid
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob eine Vollabhilfe im Widerspruchsverfahren vorliegt, wenn die Ausgangsbehörde auf den Widerspruch des Betroffenen den angegriffenen Bescheid in vollem Umfang aufhebt, gleichzeitig oder später aber erneut ein Bescheid mit gleichem oder ähnlichem Inhalt erlassen wird.
2. Die Frage, ob mit einem Verwaltungsakt einem Widerspruch in vollem Umfang oder nur teilweise abgeholfen wurde, beurteilt sich ausschließlich danach, was der Widerspruchsführer mit seinem Widerspruch begehrt und was ihm daraufhin die zuständige Behörde gewährt oder versagt.
3. Auf einen Widerspruch hin ist nicht nur eine Vollabhilfe oder nur der Erlass eines Widerspruchsbescheides zulässig, sondern auch eine Teilabhilfe.
4. Wenn einem Widerspruch nur zum Teil abgeholfen wird, liegt keine das Widerspruchsverfahren beendende Abhilfeentscheidung im Sinne von § 85 Abs 1 SGG vor. Bei einer Teilabhilfe ist der verbleibende Rest des Widerspruches durch Erlass eines Widerspruchsbescheides gem § 85 Abs 2 SGG noch zu bescheiden.
5. Ein Widerspruch gegen einen Abhilfebescheid ist unzulässig. Hierbei ist es unerheblich, ob dem Widerspruch gegen den Abhilfebescheid eine Teil- oder eine Vollabhilfe vorausgegangen ist. Denn wenn nur eine Teilabhilfe erfolgt ist, ist der (Teil-)Abhilfebescheid gemäß § 86 SGG Gegenstand des den Ausgangsbescheid betreffenden Widerspruchsverfahrens geworden. Wenn hingegen dem Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid in vollem Umfang abgeholfen worden ist, ist das Widerspruchsverfahren abgeschlossen.
Normenkette
SGG §§ 73a, 85 Abs. 1-2, § 86; VwGO § 72; SGB II § 22 Abs. 7; SGB X § 35 Abs. 1 S. 1
Tenor
I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren. In der Hauptsache war streitig, ob ein Abhilfebescheid ergehen und der hiergegen eingelegte Widerspruch als unzulässig verworfen werden durfte.
Der Kläger, der eine Fachoberschule besuchte und Leistungen nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) bezog, beantragte am 9. November 2010 einen Zuschuss zu den ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2010 ab, wogegen der Kläger mit Schreiben vom 14. Dezember 2010 Widerspruch eingelegte. Der Klägerbevollmächtigte zeigte sich am 17. Februar 2011 an und beantragte, dem Kläger ab Antragstellung "Leistungen in Form eines Zuschusses zu den ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlicher Höhe nach dem SGB II" zu bewilligen. Die Bruttowarmmiete belaufe sich auf 277,00 EUR.
Am 18. Februar 2011 erließ der Beklagte zwei Bescheide. Im Abhilfebescheid hob der Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 25. November 2010 auf und erklärte unter Verweis auf einen "noch gesondert zugehenden Bescheid", dass dem Widerspruch "in vollem Umfang entsprochen" werde. Mit dem zweiten Bescheid vom 18. Februar 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger einen Zuschuss zu den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 136,33 EUR.
Der Klägerbevollmächtigte reichte zu diesem Widerspruchsverfahren am 2. März 2011 seine Kostennote beim Beklagten ein.
Mit Schriftsatz vom 14. März 2011 legte der Klägerbevollmächtigte Widerspruch gegen den Abhilfebescheid ein. Dieser Bescheid hätte lediglich ergehen dürfen, wenn dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil nur ein Teil der Bruttowarmmiete in Höhe von 277,00 EUR übernommen worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2011 (Az. W 12272/10) wies der Beklagte den Widerspruch vom 14. Dezember 2010 "nach Erteilung des Abhilfebescheides vom 18. Februar 2011" zurück. Die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen seien auf Antrag erstattet worden. Die Zuziehung des Bevollmächtigten sei als notwendig anerkannt worden. Die hiergegen gerichtete Klage wurde unter dem Az. S 6 AS 1942/11 geführt; die Nichtzulassungsbeschwerde wird unter dem Az. L 3 AS 1115/11 NZB geführt.
Den Widerspruch vom 14. März 2011 verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2011 (Az. W 1250/11) als unzulässig. Dem Widerspruch mangle es am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Abhilfebescheid gemäß § 86 des Sozialgerichtgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens in Bezug auf de...