Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Unwirksamkeit der durch den Vorstand des GKV-Spitzenverbandes erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler. Organzuständigkeit des Verwaltungsrats. Verfassungsmäßigkeit. einstweiliger Rechtsschutz. aufschiebende Wirkung. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelungen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler des GKV-Spitzenverbandes sind unwirksam, weil sie nicht durch den dafür zuständigen Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes erlassen worden sind.
2. Ein freiwilliges Mitglied, das hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist, wird nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, dass ihm trotz Unwirksamkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler der Nachweis beitragspflichtiger Einnahmen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze durch Vorlage seines Einkommensteuerbescheides ermöglicht wird.
Orientierungssatz
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen erst dann, wenn gewichtige Umstände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides sprechen und der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl ua LSG Berlin-Potsdam vom 13.7.2011 - L 22 LW 8/11 ER und LSG Mainz vom 18.9.2009 - L 5 KR 159/09 B ER).
2. Gegen die gesetzliche Ermächtigung des GKV-Spitzenverbandes zur Regelung der Bemessungsgrundlagen für freiwillige Mitglieder bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist als Rechtsanwalt selbständig erwerbstätig und seit dem 01.01.2010 freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin zu 1 (einer Betriebskrankenkasse). Dieser hatte er mit seiner Beitrittserklärung den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 24.08.2009 vorgelegt, der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit von 26.797 €, Einkünfte aus Kapitalvermögen abzüglich Werbungskosten von 1.731 € und Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nach den Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 1.387 € aufwies.
Mit Bescheid vom 23.12.2009 setzte die Antragsgegnerin zu 1 - zugleich im Namen ihrer Pflegekasse, der Antragsgegnerin zu 2 - für die Zeit ab 01.01.2010 die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf insgesamt 411,33 € fest; sie legte dabei ausgehend vom Einkommensteuerbescheid für 2007 monatliche Einnahmen von 2.492,91 € zugrunde. Ferner stellte die Antragsgegnerin zu 1 fest: Nach Mitteilung der bisherigen Krankenkasse (einer Innungskrankenkasse) ruhe der Leistungsanspruch nach § 16 Abs. 3a Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V); dies gelte bis zur vollständigen Zahlung der Beiträge auch ihr gegenüber. Gegen die Beitragsfestsetzung legte der Antragsteller Widerspruch ein. Er machte geltend, Einkünfte aus Forst- und Landwirtschaft hätten der Beitragsbemessung nicht zugrunde gelegt werden dürfen, jedenfalls nicht die im Einkommensteuerbescheid angegebenen rein fiktiven Beträge, sondern lediglich das gemäß § 15 Abs. 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) nach § 32 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ermittelte Einkommen. Überhaupt nicht zur Beitragsberechnung heranzuziehen seien Einkünfte aus Kapitalvermögen; denn die Einheitlichen Grundsätze des GKV-Spitzenverbandes zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) machten das Arbeitseinkommen zur allein relevanten Bemessungsgrundlage. Da nach dem Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 02.03.2010 (S 19 KR 873/09 - juris) die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler unwirksam seien, werde er nur noch den Mindestbeitrag von insgesamt 140,53 € zahlen. Die Antragsgegnerin zu 1 wies mit - allein in ihrem Namen ergangenen - Widerspruchsbescheid vom 16.07.2010 den Widerspruch zurück; die Kapitaleinkünfte und die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft seien anhand des Einkommensteuerbescheides für 2007 rechtmäßig zur Beitragsberechnung herangezogen worden.
Am 19.08.2010 hat der Antragsteller beim SG Dresden Klage erhoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Seit Einführung der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler seien Kapitalerträge keine beitragspflichtigen Einnahmen mehr, weil sie nicht dem Lebensunterhalt dienten, sondern nur den Verlust ausglichen, den das Kapital durch Inflation erleide. Die Heranziehung der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen fiktiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sei rechtswidrig; die Beitragsberechnung könne nur anhand des tatsächlichen Einkommens gemäß § 40 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) erfolgen. Ohnehin gebe es nach dem Urteil des SG München keine Rechtsgrundla...