Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sozialhilfe. Überleitung von Ansprüchen gegen Dritte. Rechtsschutzbedürfnis des Dritten. Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Kosten. fehlende Angaben zur Höhe der übergeleiteten Forderung. Auffangstreitwert. Halbierung
Leitsatz (amtlich)
1. Dem durch eine Anzeige nach § 93 Abs 1 S 1 SGB 12 in Anspruch genommenen Drittschuldner steht ein eigener Anspruch auf fehlerfreie Ermessenausübung gegenüber dem Sozialhilfeträger zu. Daher kann das Rechtsschutzbedürfnis für eine gegen die Überleitungsanzeige gerichtete Anfechtungsklage nicht verneint werden (vgl BVerwG vom 27.5.1993 - 5 C 7/91 = BVerwGE 92, 281).
2. Liegen zur Höhe der übergeleiteten Forderung keine Angaben vor, ist gem §§ 53 Abs 3 Nr 2, 52 Abs 1 und Abs 2 GKG (juris: GKG 2004) vom Auffangstreitwert auszugehen, der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 21. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerinnen und Beschwerdeführerinnen tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) geltend gemachten Überleitungsanspruch gemäß § 93 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der Antragsgegner gewährte dem leistungsberechtigten, seit 26.01.2007 unter Betreuung stehenden und u.a. wegen psychischer Erkrankung erwerbsunfähigen P… E… (im Folgenden: E.) aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 06.05.2009 und entsprechender Folgebescheide ab 01.05.2009 Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 35 SGB XII).
Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zur Leistungsgewährung erhielt der Antragsgegner Kenntnis von diversen Versicherungen, die zugunsten des E. bestanden, u.a. eine Top-Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 602003800 bei der Sp…-Versicherung Sachsen Lebensversicherung AG. Mit Schreiben vom 11.07.2009 hatten die Betreuer des E. gegenüber dem Versicherungsunternehmen erklärt, dass Erstattungsansprüche, die dem Versicherten aus der Vertragsbeendigung zustünden, bereits jetzt an das Sozialamt A… abgetreten würden.
Ohne vorherige Anhörung zeigte der Antragsgegner mit an die Sp…-Versicherung Sachsen, Frau A…, gerichtetem Bescheid vom 07.05.2009 an, dass der dem Grunde nach bestehende Anspruch des E. auf eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente für die Dauer der Gewährung der Sozialhilfeleistungen gemäß § 93 SGB XII auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werde. Die Überleitung werde begrenzt durch die Höhe der Sozialhilfeaufwendungen. Die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente sei als vorrangige Leistung als Einkommen nach § 82 SGB XII auf die Hilfe zum Lebensunterhalt anzurechnen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Überleitungsanzeige lägen vor. Von einer Überleitung werde auch nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen abgesehen worden. Sie sei geboten, um den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII wiederherzustellen. Es seien keine Gründe vorgetragen, die im Rahmen des Ermessens eine andere Entscheidung geböten oder einen Verzicht auf die Überleitung rechtfertigten. Im Bescheid waren der Name, das Geburtsdatum und die Anschrift des E. angegeben.
Mit Schreiben der Antragstellerin zu 2 vom 27.05.2009 teilte diese mit, dass eine Zuordnung der Überleitungsanzeige mangels Bestimmtheit des Adressaten nicht möglich sei. Unter dem Dach der S.V. Holding bestünden die Sp…-Versicherung Sachsen Allgemeine Versicherung AG und die Sp…-Versicherung Sachsen Lebensversicherung AG. Frau A… sei für beide Unternehmen nicht vertretungsberechtigt. Sie gingen daher davon aus, dass der Bescheid nichtig sei. Vorsorglich werde Widerspruch erhoben, auch im Auftrag der Sp…-Versicherung Sachsen Lebensversicherung AG. Eine Anhörung habe nicht stattgefunden.
Mit an die Sp…-Versicherung Sachsen gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 24.11.2009 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin ist abermals Name und Geburtsdatum des E. sowie die Versicherungsnummer angegeben. E. mache aus seiner Top-Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 602003800 eine Berufsunfähigkeitsrente geltend. Diesen Anspruch habe der Antragsgegner mit Bescheid vom 07.05.2009 übergeleitet. Ob von der “Kann-Bestimmung„ des § 93 SGB XII Gebrauch gemacht werde, liege im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der Sozialhilfe. Die Überleitung sei geboten, weil E. seinen Lebensunterhalt nicht ohne Sozialhilfeleistungen sicher stellen könne. Sozialhilferechtliche Gesichtpunkte, die ein Absehen von der Überleitung gebieten würden, seien nicht ersichtlich.
Dagegen haben die Antragstellerinnen am 28.12.2009 Nichtigkeits- und hilfsweise Anfechtungsklage zum Sozialgericht Chemnitz erhoben und gleichzei...