Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtswidrigkeit. Gleichbehandlungsgrundsatz. Freizügigkeitsrechte

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Behandlung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 in Anbetracht des Beschlusses des BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R = ZFSH/SGB 2014, 158 und des Urteils des EuGH vom 19.9.2013 - C 140/12 (Brey) = ZESAR 2014, 36 (Fortführung von LSG Chemnitz vom 31.1.2013 - L 7 AS 964/12 B ER = ZFSH/SGB 2013, 227).

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Januar 2014 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 15.04.2014 bis 30.04.2014 i.H.v. 330,13 € - längstens bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren zu einem Achtel.

 

Gründe

Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 03.01.2014 bis 30.04.2014.

Der 1978 geborene Antragsteller ist slowakischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit März 2011 im Bundesgebiet auf. Einer Erwerbstätigkeit ist der Antragsteller in dieser Zeit nicht nachgegangen. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller - mit Unterbrechungen - ab dem 01.07.2012 Leistungen nach dem SGB II. Daneben bewilligte er Leistungen zur Beschaffung einer Wohnungserstausstattung. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nahm er zuletzt mit Bescheid vom 23.04.2013 für den Zeitraum vom 01.05.2013 bis 31.10.2013 in Höhe von monatlich 618,79 € vor.

Den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers vom 04.10.2013 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.10.2013 ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er allein ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II) habe. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Antragstellers. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gelte nicht für Ausländer, die wie er nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2013 zurück. Der Kläger hat am 06.01.2014 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) Klage (S 26 AS 62/14) erhoben.

Am 03.01.2014 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG gestellt. Die Argumente des Antragsgegners seien nicht nachvollziehbar, da er bereits seit mehr als zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebe und länger als drei Monate Leistungen beziehe. Er sei arbeitssuchend und habe sich fortlaufend - leider erfolglos - beworben. Die Ablehnung des Antrages verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 4 VO (EG) 883/2004. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei umstritten, ob ein arbeitssuchender EU-Bürger nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen werden könne. Das Bundessozialgericht (BSG) habe deshalb die strittige Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt. Nachdem im Klageverfahren nicht mit einer alsbaldigen rechtskräftigen Entscheidung über den Arbeitslosengeld-II-Anspruch des Antragstellers gerechnet werden kann, sei der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung berechtigt.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 13.01.2014 abgelehnt. Der Antragsteller verfüge über kein Aufenthaltsrecht mehr im Bundesgebiet. Er sei entgegen seiner Auffassung "nicht mehr als Arbeitnehmer zur Arbeitssuche freizügigkeitsberechtigt im Sinne von § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU" und verfüge daher nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht. Denn ein solches bestehe für Arbeitslose, die nach ihrer Einreise entweder keine Arbeitstätigkeit aufgenommen haben oder die kürzer als ein Jahr erwerbstätig waren, nur für die Dauer von sechs Monaten. Der Antragsteller sei bislang nicht beschäftigt gewesen und halte sich bereits länger als sechs Monate im Bundesgebiet auf. Gleichwohl setze die Bewertung, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bundesgebiet habe, noch die Feststellung einer Ausreisepflicht nach § 7 FreizügG/EU voraus. Daran fehle es hier.

Der Ausschluss von Leistungen beruhe hier jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Danach seien Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Zwar gelte diese Vorschrift unmittelbar nur für den Personenkreis, der noch über ein Aufenthalts...

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