Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ausschluss der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe. Nichterreichen des Wertes des Beschwerdegegenstandes. unbezifferter Klageantrag. überhöhte Wertangaben. Streit über die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen nach dem SGB 2. Berücksichtigung der vom BVerfG eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen der Sozialverbände bei der Beschwerdewertbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 172 Abs 1 SGG in der bis 24.10.2013 geltenden Fassung, § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 127 Abs 2 S 2 ZPO ist die Prozesskostenhilfebeschwerde ausgeschlossen, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes eröffnet ist. Dafür spricht die Entstehungsgeschichte der Neuregelung des § 172 Abs 3 SGG.
2. Bei nicht bezifferten Leistungsansprüchen hat das Berufungs- bzw Beschwerdegericht den Wert des Beschwerdegegenstandes selbst zu ermitteln. Bei der Berechnung ist von der Rechtsauffassung des Berufungs- bzw Beschwerdeführers auszugehen. Das gilt dann nicht, wenn offensichtlich ist, dass der Beschwerdewert missbräuchlich auf einen über 750,00 EUR hinausgehenden Wert gewählt worden ist, um die Berufungssumme zu überschreiten, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht willkürlich durch überhöhte Wertangaben eines in diesem Umfang offensichtlich nicht bestehenden Anspruchs erreicht werden darf.
3. Sofern die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung nach dem SGB 2 geltend gemacht wird und der Beschwerdeführer sich auf die vom Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen der Sozialverbände bezieht - darin werden für 2013 Regelleistungen, die 50,00 EUR bis 60,00 EUR über dem gesetzlich vorgesehenen Regelsatz liegen, als existenzsichernd angesehen - kann zur Bestimmung des Beschwerdewerts von 60,00 EUR pro streitigem Monat für einen Alleinstehenden ausgegangen werden.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. April 2013 wird verworfen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren. In der Hauptsache ist die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung der Klägerin für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis 31.10.2012 streitig.
Die 1955 geborene und erwerbsfähige Klägerin lebt allein in einem Einfamilienhaus und steht mit Unterbrechungen im fortgesetzten Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beteiligten. Da sich ab Mai 2012 der Abschlag für Nachtstrom reduzierte, waren ab diesem Zeitpunkt lediglich geringere Kosten für Unterkunft und Heizung aufzuwenden.
Auf den Antrag der Klägerin bewilligte der Beteiligte mit Bescheid vom 02.05.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis 31.10.2012 i.H.v. 659,70 €. Mit Bescheid vom 08.05.2012 nahm er für den gleichen Zeitraum die Bewilligung von Leistungen i.H.v. 661,69 € monatlich vor. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin. Mit Änderungsbescheid vom 24.05.2012 bewilligte der Beteiligte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis 31.10.2012 monatlich 611,69 € infolge des niedrigeren Abschlags für Heizstrom. Auch hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 05.06.2012. Beide Widersprüche wies der Beteiligte mit Widerspruchsbescheiden vom 11.09.2012 zurück.
Ihr Begehren auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat die Klägerin mit den am 12.10.2012 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klagen (S 30 AS 4443/12 und S 30 AS 4444/12) weiterverfolgt und hierfür jeweils die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Die vom Beteiligten in Ansatz gebrachte Regelleistung sei verfassungswidrig, da sie nicht das Existenzminimum abdecke. Die Klägerin hat sich diesbezüglich auf die beim Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage anhängigen Verfahren bezogen.
Der Beteiligte hat der Klägerin mit Änderungsbescheid vom 24.10.2012 für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis 31.05.2012 Leistungen i.H.v. 886,88 € bewilligt.
Das SG hat beide Verfahren mit Beschluss vom 18.04.2013 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat hiernach die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.04.2013 abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen hat es zunächst auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Entscheidungen vom 12.07.2012 ausgeführt, dass die Regelleistung nicht verfassungswidrig zu niedrig festgelegt sei (Urteile vom 12.07.2012 - B 14 AS 153/11 R und B 14 AS 189/11 R). Das SG schließe sich diesen Ausführungen an. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen eine dieser Entscheidungen nicht angenommen (Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12).
Das SG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren mit Beschluss vom 19.04.2013 mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt und zur Begründung auf den Gerichtsbescheid verwiese...