Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. keine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Untersuchungsmaxime. Minderung des Arbeitslosengeld II. Meldeversäumnis. fehlende Anhaltspunkte für weitere notwendige Ermittlungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Minderung des Arbeitslosengeldes II wegen eines Meldeversäumnisses hat keine grundsätzliche Bedeutung, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche bzw besondere Härte, eine Verkürzung des gesetzlichen Minderungszeitraums, eine Minderung von mehr als 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs im streitigen Zeitraum oder ein sonstiges Verhalten, um nachträglich von der Minderung absehen zu können, erkennbar oder vorgebracht sind.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. April 2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz (SG) vom 24.04.2017, mit dem es die Klage der Klägerin gegen die Minderung des Arbeitslosengeldes (Alg) II für April bis Juni 2016 wegen eines Meldeversäumnisses am 29.09.2015 abgewiesen hat.

Der Beklagte bewilligte der 1953 geborenen Klägerin für Dezember 2015 bis November 2016 weiter Alg II (Bescheid v. 23.11.2015, ab Januar 2016 ersetzt durch Bescheid v. 29.11.2015, dieser wiederum für Mai 2016 ersetzt durch Bescheid v. 14.04.2016).

Der Beklagte forderte die Klägerin auf, am 29.09.2015 um 08:00 Uhr bei ihm zu erscheinen (Folgeeinladungen v. 08.09.2015 und 17.09.2015). Letztgenannte Meldeaufforderung enthält - anders als die vorherige Aufforderung - folgenden Absatz:

"Bitte beachten Sie im Krankheitsfall: Eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bedeutet nicht zwingend, dass Sie nicht in der Lage sind, einen Meldetermin wahrzunehmen. Die Vorlage einer einfachen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann daher nicht als wichtiger Grund für Ihr Nichterscheinen zum genannten Meldetermin anerkannt werden. Sollten Sie den genannten Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen können, legen Sie bitte eine Bescheinigung Ihres behandelnden Arztes vor, aus der hervorgeht, dass Sie aus gesundheitlichen Gründen gehindert sind, den Termin wahrzunehmen. Sofern Ihnen Kosten für die Bescheinigung entstehen, werden diese im Umfang von 5,36 € übernommen."

Die Klägerin war ab dem 10.09.2015 über den 29.09.2015 hinausgehend arbeitsunfähig (Folgebescheinigung v. 09.10.2015) und erschien am vorgenannten Tag nicht beim Beklagten. Ihr Widerspruch (Schreiben v. 01.10.2015) gegen die Meldeaufforderung vom 17.09.2015 blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid v. 19.11.2015, W ….; Gerichtsbescheid des SG v. 25.02.2016 - S 35 AS 4812/15).

Nach Anhörung (Schreiben v. 29.09.2015) der Klägerin stellte der Beklagte für April bis Juni 2016 eine Minderung des Alg II in Höhe von 40,40 € monatlich fest und hob insoweit einen konkret benannten Bewilligungsbescheid ("Bescheid vom 11. November 2016") auf (Bescheid v. 10.03.2016). Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin (Schreiben v. 21.03.2016) wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid v. 06.04.2016, W .…). Ein Antrag der Klägerin auf einstweiligen Rechtsschutz gegen diese Minderung blieb erfolglos (SG v. 07.04.2016 - S 35 AS 1084/16 ER).

Einen Antrag der Klägerin (Schreiben v. 01.06.2016) auf Feststellung der Nichtigkeit der Meldeaufforderung vom 17.09.2015 und des sog. Sanktionsbescheids vom 10.03.2016 lehnte der Beklagte ab (Bescheid v. 19.07.2016).

Gegen den Bescheid vom 10.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.04.2016 (W ….) hat die Klägerin am 04.05.2016 beim SG Klage erhoben (Az.: S 37 AS 1630/16). Das SG hat u.a. mit einem - von einer Justizobersekretärin unterzeichneten - Schreiben vom 01.07.2016 einen Hinweis "zur Frage der Rechtmäßigkeit einer sogenannten Wegeunfähigkeitsbescheinigung" erteilt.

Am 22.07.2016 hat die Klägerin "im Verfahren S 37 AS 1630/16 … beantragt, der zuständigen Richterin bzw. dem zuständigen Richter … das Verfahren zu entziehen" und zur Begründung u.a. auf das gerichtliche Schreiben vom 01.07.2016 Bezug genommen (Schreiben v. 21.07.2016). Das SG hat das Verfahren S 37 SF 655/16 AB registriert und der Klägerin durch die Kammervorsitzende u.a. mitgeteilt, das Schreiben vom 01.07.2016 habe ihr Stellvertreter verfasst, so dass dem Verfahren durch sie Fortgang gegeben werde.

Das SG hat am 24.04.2017 ohne Anwesenheit der Klägerin mündlich verhandelt, ein Schreiben der Klägerin vom 10.04.2017 als Antrag auf Terminsverlegung ausgelegt und abgelehnt (Niederschrift v. selben Tag) sowie die Klage abgewiesen (Urteil v. 24.04.2017). Die Entscheidung sei nach Lage der Akten ergangen. Die Folgeeinladung vom 17.09.2015 sei rechtmäßig, da das Verlangen einer "Wege- bzw. Teilnahmeunfähigkeitsbescheinigung" höchstrichterlicher Rechtsprechung (Verweis auf BSG v. 09.11.2020 - B 4 AS 27/10 R - Rn. 31 f....

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