Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG. erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte für Klagen von Kassenärztlichen Vereinigungen gegen aufsichtsrechtliche Maßnahmen des Bundesversicherungsamts. Zuständigkeitsvorschrift mit Ausnahmecharakter. verfassungsrechtlich keine besonders restriktive Auslegung geboten
Leitsatz (amtlich)
1. Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte nach § 29 Abs 2 Nr 2 SGG besteht nicht nur für Klagen derjenigen Verwaltungsträger, die Adressat der konkret angefochtenen Aufsichtsmaßnahme sind. Vielmehr besteht diese Zuständigkeit auch für Klagen von Kassenärztlichen Vereinigungen gegen Aufsichtsmaßnahmen des Bundesversicherungsamts (ab 1.1.2020 des Bundesamts für Soziale Sicherung).
2. Verfassungsrecht gebietet keine besonders restriktive Auslegung einer Zuständigkeitsnorm, die eine Ausnahme von einem Grundsatz macht.
Tenor
Das Sächsische Landessozialgericht ist erstinstanzlich zuständig.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine Kassenärztliche Vereinigung, wendet sich gegen ein Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes (BVA - seit 01.01.2020: Bundesamt für Soziale Sicherheit) der Beklagten.
Unter dem 13.09.2018 versandte das BVA an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen ein Rundschreiben zu den Vergütungsverträgen zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 87a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), um über die festgestellten rechtlich problematischen Vereinbarungen zu informieren; im Hinblick auf die bevorstehenden Vertragsverhandlungen für das Jahr 2019 werde um Beachtung der Rechtshinweise gebeten. Insbesondere wurden Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) dargestellt und Hinweise zur Umsetzung im Rahmen der Vertragsvereinbarungen erteilt.
Am 27.12.2018 hat die Klägerin beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) Klage erhoben mit dem Antrag, das Rundschreiben des BVA vom 13.09.2018 aufzuheben. Sie trägt vor, der Begriff der Aufsichtsangelegenheiten in § 29 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei weit auszulegen. Die Klage sei als Aufsichtsklage in entsprechender Anwendung von § 54 Abs. 3 SGG zulässig. Das Rundschreiben stelle eine aufsichtsbehördliche Maßnahme dar, da das BVA die staatliche Aufsicht über die bundesunmittelbaren Krankenkassen führe. Mit dem Rundschreiben werde es gegenüber bundesunmittelbaren Krankenkassen sowie gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen tätig, indem es verbindliche Anforderungen an die vertragliche Vereinbarung zur Gesamtvergütung stelle. Unabhängig davon, ob es sich um einen Verwaltungsakt handele, greife das BVA mit dieser aufsichtsrechtlichen Maßnahme in die Rechtssphäre des Selbstverwaltungsträgers ein. Soweit sich die bundesunmittelbaren Krankenkassen oder das Schiedsamt der Auffassung des BVA anschlössen, verenge sich der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner. Dies gelte selbst dann, wenn die Krankenkassen die Rechtsauffassung des BVA für rechtswidrig hielten. Damit hätte sie - die Klägerin - keine Möglichkeiten, nachgelagert eine gerichtliche Überprüfung der Auffassung des BVA zu erreichen.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und rügt zunächst, die Klage sei vor dem falschen Gericht erhoben worden. Das LSG sei instanziell nicht zuständig. Im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagter handele es sich mangels Aufsichtsverhältnis nicht um eine von § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG erfasste Aufsichtsangelegenheit. Die Aufsichtsklage sei nicht statthaft, weil es sich um ein informatives Rundschreiben handele, das keinen Anordnungscharakter habe. Es handele sich auch nicht um Hinweise, Anregungen oder Empfehlungen der Rechtsaufsicht im Rahmen der Beratung nach § 89 Abs. 1 2. Halbsatz Viertes Buch Sozialgesetzbuch, die eine konkrete Beanstandung im Einzelfall voraussetzten. Erst recht handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Das Rundschreiben stelle überhaupt kein Aufsichtsmittel dar.
II.
Gemäß § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz hat das Gericht vorab darüber zu entscheiden, ob es sachlich zuständig ist, wenn eine Partei - wie hier die Beklagte - die Zuständigkeit rügt. Die sachliche Zuständigkeit betrifft auch die Frage, welches Gericht erstinstanzlich zuständig ist, so dass diese Vorschriften bei Rüge der instanziellen Zuständigkeit zumindest entsprechend anzuwenden sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2010 - L 7 AS 191/10 KL - juris Rn. 1 m.w.N.).
Das Landessozialgericht ist gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG erstinstanzlich zuständig.
Nach dieser Vorschrift entscheiden die Landesozialgerichte im ersten Rechtszug über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und der Kassen(zahn)ärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird.
Eine Aufsichtsangelegenheit im Sinne des § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht schon dann vor, wenn sich die Klage gegen eine Maßnahme einer Au...