Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Nichtentscheidung über Widerspruch. zureichender Grund iSd § 88 Abs 2 iVm Abs 1 SGG. aktuelle besondere Belastungssituation. Personalmangel. unzureichender Grund. Zureichender Grund für die Überschreitung der gesetzlichen Frist zur Entscheidung über einen Widerspruch. Besondere Belastung durch Gesetzesänderung. Mangelnde personelle und sachliche Ausstattung der Widerspruchsstelle
Leitsatz (amtlich)
1. Ein zureichender Grund für die Nichtentscheidung über einen Widerspruch i.S.d. § 88 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGG kann bei einer vorübergehenden besonderen Belastung, etwa wenn aufgrund einer Gesetzesänderung für einen begrenzten Zeitraum viele Anträge zu bearbeiten sind, oder bei einem Umzug oder organisatorischen Änderungen einer Behörde gegeben sein.
2. Kein zureichender Grund liegt jedoch bei dauerhaftem Personalmangel oder dauerhaft unzureichender Ausstattung mit sachlichen Mitteln vor. Ein Amtswalter kann sich nicht darauf berufen, zur Aufgabenerfüllung mangels hinreichender Ausstattung mit den erforderlichen Mitteln nicht in der Lage zu sein. Der gesetzliche Auftrag schließt aus, sich dauerhaft auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Unmöglichkeit zu berufen.
Normenkette
SGG § 88 Abs. 2, 1, § 193 Abs. 1 Sätze 1, 3
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 10.12.2007 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Tragung der außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren, in dem die Klägerin eine Untätigkeitsklage gegen die Beklagte erhoben hatte.
Die Beklagte gewährte der 1952 geborenen Klägerin auf deren Antrag mit Bescheid vom 14.02.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 31.08.2006 in Höhe von monatlich 254,40 EUR. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 28.02.2006. Die Beklagte habe bei der Berechnung der Leistungen die Versicherungspauschale und den Beitrag zur Kfz-Versicherung nicht berücksichtigt.
Am 01.06.2006 hat die Klägerin ihr Begehren mit der zum Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Untätigkeitsklage weiter verfolgt. Die Beklagte habe über ihren Widerspruch nicht in angemessener Zeit entschieden. Daher sei die Untätigkeitsklage zulässig.
Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2006 den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Daraufhin hat diese ihre Klage zurückgenommen und beantragt, der Beklagten aufzuerlegen, ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten, es habe ihrerseits keine Untätigkeit vorgelegen. In einem älteren Verfahren habe die Bevollmächtigte der Klägerin um Akteneinsicht gebeten. Jedoch habe die Bevollmächtigte auf ein Schreiben vom 27.04.2006, in welchem die Modalitäten der Akteneinsicht mitgeteilt worden seien, nicht reagiert. Aus diesem Grund habe man über beide Widersprüche nicht entscheiden können. Aus prozessökonomischen Gründen sei die Beklagte auch gehalten gewesen, das Ergebnis der beantragten Akteneinsicht abzuwarten.
Das SG hat mit Beschluss vom 10.12.2007 entschieden, die Beklagte habe die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollem Umfang zu erstatten. Die gemäß § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Untätigkeitsklage sei zulässig und begründet. Sie sei zulässig, weil die Beklagte nicht innerhalb der in § 88 Abs. 2 SGG normierten Frist von drei Monaten über den Widerspruch der Klägerin entschieden habe. Es könne dahinstehen, ob der Beklagten ein zureichender Grund im Sinne des § 88 Abs. 2 SGG für die Nichtentscheidung innerhalb der Frist zur Verfügung gestanden habe. Nach herrschender Meinung habe die Beklagte bei einer zulässigen Untätigkeitsklage in der Regel die außergerichtlichen Kosten der Klägerseite zu tragen, weil letztere mit einer Bescheidung innerhalb der 3-Monats-Frist habe rechnen dürfen. Dieser Auffassung schließe sich das SG an. Entscheide die Beklagte nicht innerhalb der in § 88 Abs. 2 SGG genannten Frist, gebe sie der Klägerin Veranlassung zur Erhebung der Untätigkeitsklage, es sei denn, diese könne bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung erkennen, dass ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Verwaltung bestanden habe. Im vorliegenden Verfahren lägen keine sachlichen Gründe für eine nicht fristgemäße Entscheidung vor. Im hier streitigen Widerspruchsverfahren habe die Bevollmächtigte auch nicht Akteneinsicht beantragt. Die Beklagte sei somit nicht daran gehindert gewesen, über den Widerspruch der Klägerin rechtzeitig zu entscheiden. Sie habe insbesondere nicht das Widerspruchsverfahren bezüglich des früheren Widerspruchs abwarten müssen.
Gegen den der Beklagten am 27.12.2007 zugestellten Beschluss hat diese am 28.01.2008 beim SG Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Die Untätigkeitsklage der Klägerin habe weder zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstre...