Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Berufung. Berufungsbeschränkung. Untätigkeitsklage. Beachtlichkeit des Beschwerdegegenstandswertes. grundsätzliche Bedeutung. Bekanntgabe eines Verwaltungsakts. Übersendung einer Kopie des Bescheids

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG ist auch für Untätigkeitsklagen einschlägig (Anschluss an BSG vom 6.10.2011 - B 9 SB 45/11 B = SozR 4-1500 § 144 Nr 7, RdNr 10 f).

2. Zur Frage, ob die Bekanntgabe durch Übersendung einer Kopie eines Bescheides erfolgen kann.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz 2 vgl BSG vom 17.9.2008 - B 6 KA 28/07 R = BSGE 101, 235 = SozR 4-1300 § 44 Nr 17, RdNr 25.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. September 2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Zulassung der Berufung. In der Hauptsache war das Vorliegen einer Untätigkeit des Beklagten streitig.

Die 1984 und 2010 geborenen Kläger stehen im laufenden Leistungsbezug beim Beklagten. Mit Bescheid vom 30.10.2015 hob der Beklagte gegenüber den Klägern die zuvor mit Bescheid vom 13.10.2014 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 30.11.2014 erfolgte Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.04.2015 teilweise auf und machte Erstattungsforderungen gegenüber der Klägerin zu 1 in Höhe von 555,57 € und gegenüber dem Kläger zu 2 in Höhe von 104,52 € geltend. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Kläger vom 29.11.2015. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 zurück.

Mit ihrer am 01.06.2017 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage machen die Kläger die Untätigkeit des Beklagten im Hinblick auf den Widerspruch vom 23.11.2015 (wohl richtig: 29.11.2015) geltend. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.07.2017 auf den bereits beschiedenen Widerspruch hingewiesen und eine Kopie des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2016 übersandt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2017 abgewiesen. Der Beklagte sei mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 tätig geworden. Soweit die Kläger meinten, ihnen sei der Widerspruchsbescheid nicht zugegangen, sei dieser ausweislich der Postzustellungsurkunde am 07.08.2017 vom Beklagten mit Bekanntgabewillen als Anlage zu seinem Schriftsatz vom 24.07.2017 bekannt gegeben worden. Da die Kläger trotz Aufforderung des Gerichts an ihrem Klageantrag vom 01.06.2017 festgehalten hätten, sei die Klage mangels Untätigkeit des Beklagten abzuweisen. Die Berufung sei nicht statthaft, weil der Wert der Mindestbeschwer von mehr als 750,00 € (§§ 143, 144 SGG) nicht erreicht sei.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 27.09.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 26.10.2017 Nichtzulassungsbeschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingelegt. Eine Beschwerdebegründung ist trotz Aufforderung und Erinnerung nicht erfolgt.

Die Kläger beantragen,

die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz vom 25.09.2017 zuzulassen und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet die Nichtzulassung der Berufung für zutreffend.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten vor.

II.

Die statthafte Beschwerde der Kläger ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2017 die Berufung nicht zugelassen.

1.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft, weil die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 660,09 € den für eine zulassungsfreie Berufung erforderlichen Wert von 750,00 € nicht übersteigt. Auch betrifft der Rechtsstreit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist auch auf Untätigkeitsklagen anzuwenden. Das hat das BSG u.a. im Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 45/11 B, Rn. 10 f. entscheiden:

“Von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 2. Alt SGG werden auch Untätigkeitsklagen erfasst, denn diese sind entweder auf die Vornahme eines beantragten, aber ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten nicht erlassenen Verwaltungsakts gerichtet (§ 88 Abs 1 SGG ), oder sie haben den Erlass eines Widerspruchsbescheides zum Gegenstand, wenn ohne zureichenden Grund innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist (§ 88 Abs 2 SGG ). Betreffen die zu erlassenden Verwaltungsakte Geld-, Dienst- oder Sachleistungen, die einen Wert von 750 Euro nicht übersteigen, unterliegt auch die Untätigkeitsklage der Berufungsbeschränkung.

Diese sich aus dem Wortlaut des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 2. Alt SGG ergebende Auslegung wird auch vom Sinn und Zweck der durch das Gesetz zur Entlastun...

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