Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Partner in Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Vermutungsregelung. getrennte Wohnungen im gleichen Haus. Mehrbedarf wegen Alleinerziehung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt nach des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II kann nicht durch den Tatbestand des § 7 Abs 3a SGB II, der eine gesetzliche Vermutung im Hinblick auf den wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, begründet, ersetzt werden.
2. Die Rechtsprechung des BSG zur Frage des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft unter Ehepartnern (§ 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II) insbesondere ohne gemeinsame Ehewohnung ist auf Fälle einer eheähnlichen Bedarfsgemeinschaft nicht übertragbar.
3. hier: keine Bedarfsgemeinschaft trotz Partnerschaft.
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung gem § 21 Abs 3 Nr 1 SGB 2, soweit keine ausreichend objektiven Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Antragsteller nicht ganz überwiegend allein für Pflege und Erziehung der Kinder sorgt.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers zu 1 wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 8. Februar 2017 geändert.
Der Antragsgegner wird vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, dem Antragsteller zu 1 den Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II für die Zeit von 16. Mai 2017 bis 31. Mai 2017 in Höhe von 73,62 € und für Juni 2017 in Höhe von 147,24 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zu 1 seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) ab Dezember 2016. Sie wenden sich gegen die Annahme des Antragsgegners, es sei von einer Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller mit der Partnerin des Antragstellers zu 1 und den gemeinsamen Kindern auszugehen.
Der 1977 geborene Antragsteller zu 1, der Staatsangehöriger von Ecuador ist und über eine befristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, bezieht laufend Leistungen vom Antragsgegner. Seine beiden Töchter aus einer früheren Ehe, die Antragstellerinnen zu 2 (*2003) und 3 (*2001), die deutsche Staatsangehörige sind, wurden aus dem Haushalt der Mutter heraus vom Jugendamt in Obhut genommen. Der Antragsteller zu 1 hat dann zunächst am 26.01.2006 die Antragstellerin zu 2 und am 15.04.2006 die Antragstellerin zu 3 zu sich in seine damalige Wohnung genommen. Im Scheidungsurteil vom 15.03.2007 wurde ihm die alleinige elterliche Sorge für die beiden Töchter zugesprochen. Seit 01.09.2012 wohnen die Antragsteller in einer Drei-Zimmer-Dachwohnung in der A-Straße in A... Für die 66,88 m² große Wohnung waren bis 30.11.2016 monatlich 518,66 € und ab 01.01.2017 560,66 € zu entrichten. Da die Betriebskostenabrechnung vom 02.11.2016 eine Nachforderung in Höhe von 185,54 € auswies, hatte der Antragsteller zu 1 im Dezember 2016 eine Gesamtmiete in Höhe von 746,20 € zu zahlen.
In der daneben liegenden Zwei-Zimmer-Dachwohnung wohnt seit 16.05.2015 die Partnerin des Antragstellers zu 1, G..., mit den gemeinsamen Kindern W... (*2008) und U... (*2010). Davor wohnten sie und die Kinder zusammen mit ihrer Mutter in einer Wohnung auf der V... Straße. Frau G... und der Antragsteller zu 1 haben das gemeinsame Sorgerecht für die beiden Kinder. Gegenüber dem Antragsgegner hat Frau G... nach dem Umzug angegeben, dass sie jetzt im selben Haus mit dem Vater wohnten und er regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern habe; sie betreue die Kinder alleine, es sei kein Wechselmodell vereinbart und es gebe keine Vereinbarung mit dem Jugendamt. In einem sozialgerichtlichen Verfahren der Frau G... (S 36 AS 4842/15) gab der Antragsteller zu 1 an, er sei seit 24.08.2016 mit Frau G... verlobt. Die Verlobung wurde zum 11.10.2016 gelöst.
Seit 2013 wird die Antragstellerin zu 3 vom Jugendamt der Stadt A... betreut. Nachdem zunächst eine ambulante Familienhelferin in der Familie war, wohnte die Antragstellerin zu 3 von 01.02.2014 bis 30.11.2016 in einer betreuten Wohngemeinschaft. Für die Antragstellerin zu 2 wurde von der AOK Plus am 13.07.2016 eine psychologische Verhaltenstherapie bewilligt. Der Antragsteller zu 1 ist ohne Erwerbseinkommen. Zeitweise, insbesondere zum Weihnachtsmarkt war er befristet beschäftigt und erzielte daraus am 03.01.2017 Einkommen in Höhe von 514,43 € (netto). Er verfügt über einen Riester-Bausparvertrag. Die Antragstellerinnen zu 2 und zu 3 erhalten jeweils Kindergeld in Höhe von 192,00 €. Die Partnerin des Antragstellers zu 1 geht keiner versicherungspflichtigen oder geringfügigen Beschäftigung nach und bezieht zusammen mit den gemeinsamen Kindern ebenfalls Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner. Sie verfügt ebenfal...