Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermutungsregel zur Annahme einer Einstehensgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Ob eine Einstehensgemeinschaft i. S. des § 9 Abs. 2 S. 1 SGB 2 besteht, ist durch eine Gesamtwürdigung der Umstände anhand von Indizien zu entscheiden. Bei Vorliegen eines der in § 7 Abs. 3 a SGB 2 genannten Tatbestände greift eine gesetzliche Vermutung, dass die Partner den gegenseitigen Willen haben, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen. Grundvoraussetzung ist, dass das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft festgestellt werden kann.
2. Lässt sich nicht feststellen, dass die Räumlichkeiten einer Wohnung dauerhaft gemeinsam genutzt werden und aus einem Topf gewirtschaftet wird, so wirkt eine solche Nichtfeststellbarkeit zu Lasten des Leistungsträgers des SGB 2. Dieser ist für den Nachweis der Voraussetzungen der Vermutungsregel als anspruchsvernichtende Tatsache beweispflichtig bzw. im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Glaubhaftmachung verpflichtet.
3. Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung über die Bewilligung von Leistungen des SGB 2 liegt immer dann vor, wenn der Antragsteller zum Bestreiten des Existenzminimums auf die SGB 2-Leistung angewiesen ist. Das ist dann der Fall, wenn er über keinen rechtlich gesicherten Anspruch auf Leistungen anderer, die ihm das Existenzminimum und die Beibehaltung seiner Wohnung sichern könnten, verfügt.
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 19.09.2008 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den Antragstellerinnen zu 1) und 2) für die Zeit vom 05.09.2008 bis zum 31.12.2008 einen Betrag i. H. v. insgesamt 1.436,55 EUR nachzuzahlen und für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 28.02.2009 Leistungen in Höhe von insgesamt 497 EUR monatlich zu zahlen
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu zwei Dritteln zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzesstreiten darüber, ob die Antragstellerinnen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) haben.
Die am ...1980 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre am ...2007 geborene Tochter beantragten am 20.12.2007 die Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten, welche diese im vorangegangenen Bewilligungsabschnitt i. H. v. 788,11 EUR monatlich gezahlt hatte.
Nachdem am 10.01.2008 eine anonyme Anzeige des Inhalts bei dem Antragsgegner eingegangen war, dass die Antragstellerin zu 1) sich seit ca. 2,5 Jahren bei ihrem Freund aufhalte, veranlasste der Beklagte einen Hausbesuch, bei dem die Antragstellerinnen nicht unter ihrer angegebenen Wohnanschrift angetroffen wurden. An diesem Tage stellten die mit dem Hausbesuch beauftragten Mitarbeiter des Antragsgegners fest, dass sich die Antragstellerinnen in der Wohnung des Vaters der Antragstellerin zu 2) aufhielten. Nach den Einlassungen der Antragstellerin zu 1) hielt sie sich krankheitsbedingt dort für zwei Tage auf, weil die Mutter des Kindesvaters dieses dort betreuen könne. Sie machte nähere Angaben zur Wohnung des Kindesvaters, die sie als beengt bezeichnete. Sie sei mit dem Kindesvater liiert, halte sich aber in der Regel etwa alle 14 Tage 1-2 Tage besuchsweise in seiner Wohnung auf.
Als es die Mitarbeiter des Antragsgegners der Antragstellerin zu 1) “aufgrund ihres Gesundheitszustandes„ überließen, eine Klärung im Amt oder in ihrer W. Wohnung vorzunehmen, bot sie ihnen die dann erfolgte Besichtigung ihrer Wohnung an. Hierbei stellten die Mitarbeiter des Antragsgegners fest, dass die Wohnung im Allgemeinen nicht benutzt aussehe, was sie in ihrem Bericht vom 23.01.2008 näher ausführten. Insbesondere war ein Wasserschaden in der Küche ersichtlich, der nach Einlassung der Antragstellerin zu 1) bereits eine Woche zurücklag. Spielsachen oder Laufstall und Kinderbett wurden nicht festgestellt. Auf der Seite des Doppelbetts, auf der gewöhnlich die Antragstellerin zu 2) schlafe, waren Geschirr und Haushaltsgegenstände abgelegt.
Nach der Erklärung des Kindesvaters vom 19.02.2008, der zu einer Unterhaltsleistung gegenüber der Antragstellerin zu 2) i. H. v. 175,00 EUR monatlich verpflichtet ist, zahle er in Absprache mit der Antragstellerin zu 1) der Antragstellerin zu 2) Barunterhalt i. H. v. 75 EUR monatlich; den Rest gebe er für die Antragstellerin zu 2) “in materiellen Dingen„, wie Kleidung und Lebensmittel aus.
Mit Bescheid vom 25.02.2008 nahm der Antragsgegner eine Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerinnen zu 1) und 2) mit dem Kindesvater an und bewilligte diesen Leistungen unter Anrechnung von dessen Einkommen. Gegenüber den Antragstellerinnen zu 1) und 2) wurde dieser Bescheid bestandskräftig, nachdem hiergegen lediglich der Kindesvater Widerspruch eingelegt hatte. In einem dem jetzigen Verfahren vorausgegangenem Verfahren des vorläufigen Rechtssch...