Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung. erhöhter Raumbedarf durch selbstständige Tätigkeit als Tagesmutter. Kostensenkungsaufforderung. fehlerhafte Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen auch nach Ablauf der Übergangsfrist. Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit. keine Notwendigkeit der erneuten Kostensenkungsaufforderung. Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung. Zweipersonenhaushalt in Sachsen. Anwendung der "Verwaltungsvorschrift Wohnflächenhöchstgrenzen". IWU-Gutachten als schlüssiges Konzept
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn dem Hilfebedürftigen bewusst war, dass die Wohnung hinsichtlich Größe und Kosten nur solange als angemessen anzusehen war, solange der Platzbedarf und die Kosten wegen einer gewerblichen Tätigkeit in der Kindertagespflege erforderlich und die erhöhten Aufwendungen für die Wohnung damit nötig und gerechtfertigt waren, ist eine erneute schriftliche Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers entbehrlich, wenn sich diese Bedingungen ändern.
2. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die kommunalen Träger im Freistaat Sachsen bei der Bestimmung des angemessenen Bedarfs für Unterkunft die in der Verwaltungsvorschrift Wohnflächenhöchstgrenzen angegebenen Werte zugrunde legen.
3. Es bleibt offen, ob die abstrakte Verfügbarkeit von Wohnungen bereits bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze einbezogen werden kann. Dies erscheint jedenfalls grundsätzlich möglich, weil maßgeblich ist, ob im konkreten Vergleichsraum eine "angemessene" Wohnung anzumieten wäre für den Fall, dass die Bestandswohnung unangemessen teuer ist (vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 42).
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 23. Dezember 2011 geändert.
Der Antragsgegner wird vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den Antragstellerinnen - unter Anrechung des bereits Gewährten - Leistungen unter Berücksichtigung eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 9. Dezember 2011 bis 29. Februar 2012 in Höhe von monatlich 620,00 EUR und für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis 31. Mai 2012 in Höhe von monatlich 465,80 EUR zu gewähren.
Im Übrigen werden die Beschwerde der Antragstellerinnen und die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen ¾ ihrer außergerichtlichen Kosten des gerichtlichen Eilverfahrens in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um die Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung, die der Antragsgegner und Beschwerdegegner bzw. Anschlussbeschwerdeführer (im Folgenden: Antragsgegner) den Antragstellerinnen und Beschwerdeführerinnen bzw. Anschlussbeschwerdegegnerinnen (im Folgenden: Antragstellerinnen) für die Zeit vom 09.12.2011 bis 31.05.2012 zu gewähren hat.
Die Antragstellerinnen beziehen seit 01.12.2009 laufend ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit 01.11.2005 war die Antragstellerin zu 1 als Tagesmutter selbständig tätig. Sie betreute mit bis 31.08.2011 gültiger Erlaubnis der Landeshauptstadt D… bis zu fünf Kinder im Alter von 0-3 Jahren in der Kindertagespflege. Dafür erhielt sie pro Kind Aufwendungsersatz und einen Betriebskostenzuschuss sowie Zuschüsse der Landeshauptstadt D… zur freiwilligen Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung.
Die Antragstellerinnen bewohnen eine 79 m² große 3-Zimmer-Wohnung. Bis 31.08.2011 wurden zwei der Zimmer von den Antragstellerinnen privat genutzt; ein Zimmer mit der Größe von 25 m² diente der Tagespflege. Nach der Berechnung der Antragstellerin zu 1 entfiel auf die privaten Räume in der gesamten Wohnung ein Wohnflächenanteil von 46,09 m², der 58,33 % der Gesamtnutzfläche entspreche. Die Antragstellerinnen hatten für die Wohnung eine Kaltmiete von monatlich 480,00 EUR und einen Betriebs- und Heizkostenvorschuss von monatlich 140,00 EUR zu entrichten. Nach der Berechnung der Antragstellerin zu 1 entfielen vom Gesamtbetrag 361,64 EUR auf die rein private Nutzung der Wohnung.
Mit Schreiben vom 05.02.2010 teilte der Hausverwalter der Antragstellerin zu 1 mit, dass ab 01.04.2010 eine monatliche Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 229,00 EUR zu entrichten sei, wodurch sich ein Gesamtbetrag von 709,00 EUR errechnete. Die Betriebskostenabrechnungen für 2008 und 2009 ergaben jeweils erhebliche Nachzahlungen von mehr als 1.000,00 EUR bzw. mehr als 800,00 EUR zu Lasten der Antragstellerinnen. Nach ihren eigenen Angaben habe sie der Betriebskostennachzahlung (vertreten durch den Mieterverein) widersprochen. Auf den Antrag der Antragstellerin zu 1 auf Übernahme der Betriebskostennachforderungen des Vermieters für 2008 und 2009 teilte der Antragsgegner am 23.03.2011 mit, dass dies zunächst nicht in Betracht komme, bis die Höhe der Nachzahlung mi...