Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. sozialgerichtliches Verfahren. ehrenamtlicher Richter. Tätigkeit für das Jobcenter. früheres Auftreten für den Prozessgegner im Ausgangsverfahren. Ausschluss nur bei richterlicher Tätigkeit. keine Befangenheit trotz möglicher Berührung der Interessen des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. "Mitwirkung" iSd § 41 Nr 7 ZPO setzt eine richterliche Tätigkeit im Ausgangsverfahren voraus. Die nichtrichterliche Tätigkeit für eine Partei des Ausgangsverfahrens genügt nicht.
2. Bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Gerichtsverfahren besteht gegen einen ehrenamtlichen Richter nicht schon deshalb die Besorgnis der Befangenheit, weil er im Ausgangsverfahren für den Prozessgegner des Entschädigungsklägers dienstlich tätig geworden ist.
Orientierungssatz
1. Allein der Umstand, dass die Interessen des Jobcenters, für das der ehrenamtliche Richter tätig ist, vom Ausgang des Entschädigungsverfahrens berührt sein können (hier infolge eines möglichen Übergangs des Entschädigungsanspruchs auf den Grundsicherungsträger nach § 33 Abs 1 S 1 SGB 2), vermag nicht schon Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen
2. Die Vorschrift des § 60 Abs 3 SGG gilt nur für Mitglieder des Vorstandes von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts.
3. Die Entschädigung für überlange Gerichtsverfahren fällt nicht unter das Arbeitsgebiet eines Bediensteten der Sozialleistungsträger im Sinne von § 17 Abs 3 SGG.
4. Unter dem "vorausgegangenen Verwaltungsverfahren" im Sinne des § 60 Abs 2 SGG, an dem der Richter nicht mitgewirkt haben darf, ist nur das Verfahren zu verstehen, in dem die mit der Klage angefochtene Verwaltungsentscheidung ergangen ist oder ergehen sollte (vgl BSG vom 27.06.2001 - B 6 KA 81/00 B).
5. In der Befassung mit dem Ausgangsverfahren ist keine Vorbefassung für das Entschädigungsverfahren zu erblicken.
6. Zum Leitsatz 1 vgl BSG vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/16 R = BSGE 124, 136 = SozR 4-1720 § 198 Nr 16 RdNr 16.
Tenor
I. Der durch den ehrenamtlichen Richter Z... angezeigte Sachverhalt begründet keine Besorgnis der Befangenheit.
II. Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den ehrenamtlichen Richter Z... wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
In dem Verfahren L 11 SF 63/18 EK begehrt der Kläger Entschädigung wegen unangemessener Dauer des vor dem Sozialgericht (SG) Leipzig geführten Klageverfahrens S 22 AS 3735/14 und des anschließenden Beschwerdeverfahrens L 7 AS 993/17 NZB vor dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG). Für das Entschädigungsverfahren L 11 SF 63/18 EK ist dem Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan der ehrenamtliche Richter Z... zugeteilt. Mit am 08.06.2020 bei Gericht eingegangenem Schreiben hat er mitgeteilt, dass ihm der Kläger durch seine berufliche Tätigkeit für das im Ausgangsverfahren beklagte Kommunale Jobcenter Landkreis ... (künftig: Jobcenter) aus diversen Widerspruchs- und Klageverfahren vor dem SG Leipzig bekannt sei und er in diese Verfahren auch involviert gewesen sei. Ausweislich der Akten des Ausgangsverfahrens hat der ehrenamtliche Richter für das Jobcenter die Schriftsätze vom 04.02.2015, 22.04.2015, 22.08.2016, 22.11.2016 und 23.03.2017 gefertigt.
Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Der Kläger hat mitgeteilt, dass er den ehrenamtlichen Richter als befangen ablehne, weil er in mehreren ihn betreffenden Verwaltungsverfahren und auch im beim SG Leipzig geführten Ausgangsverfahren S 22 AS 3735/14 für das Jobcenter aufgetreten sei.
II.
Der ehrenamtliche Richter Z... ist nicht gehindert, an einer Entscheidung im Entschädigungsverfahren L 11 SF 63/18 EK mitzuwirken.
1. Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist unbegründet.
a) Gemäß § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, abgelehnt werden. Solche Gründe liegen für den ehrenamtlichen Richter Z... im Entschädigungsverfahren L 11 SF 63/18 EK nicht vor.
Der speziell für Entschädigungsverfahren nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geschaffene Ausschlussgrund des § 41 Nr. 7 ZPO greift nicht. Nach dieser Vorschrift ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird. Zwar genügt hierfür jede tatsächliche Befassung mit der Sache im Ausgangsverfahren (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Leitsatz 1 und Rn. 15). Allerdings setzt "Mitwirkung" i.S. des § 41 Nr. 7 ZPO eine "richterliche Tätigkeit" im Ausgangsverfahren voraus (a.a.O. Rn. 16). Denn Grund für den Ausschluss des Richters ist das Verbot des Entscheidens in eigener Sache. Der Richter, der an dem wegen seiner Dauer beanstandeten Verfahren mitgewirkt hat, soll nicht über die behauptete Unangemessenheit der Verfahrensdau...