Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsberechtigung eines ausländischen Staatsangehörigen. Erwerbsfähigkeit. Aufenthalt zum Studium. kein Leistungsausschluss während des Urlaubssemesters
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit iS von § 8 Abs 1 SGB 2 ist es rechtlich irrelevant, wenn das Unvermögen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen auf anderen Faktoren, wie etwa der Kindererziehung, beruht.
2. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG (juris: AufenthG 2004) und die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr nicht überschreitet, sowie zur Ausübung studentischer Nebentätigkeit (vgl § 16 Abs 3 AufenthG) genügt den Anforderungen zur rechtlichen Erwerbsfähigkeit iS des § 8 Abs 2 SGB 2.
Orientierungssatz
Ein Studierender ist während eines Urlaubssemesters dann nicht gem § 7 Abs 5 SGB 2 von Leistungen ausgeschlossen, wenn er in dieser Zeit aus organisationsrechtlichen Gründen der Hochschule nicht mehr angehört oder die organisationsrechtliche Zugehörigkeit zwar weiterhin vorliegt, er sein Studium jedoch tatsächlich nicht betreibt.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1-3, Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 5, § 8 Abs. 1-2, §§ 9, 20 Abs. 2 S. 1, § 21 Abs. 3 Nr. 1, § 22 Abs. 1, § 23 Nr. 1, § 26 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 27; AufenthG § 16 Abs. 1, 3, § 39; FreizügG/EG § 2 Abs. 3; SGB III § 138 Abs. 1 Nr. 3; BAföG § 2; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 202; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 119 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2, § 571 S. 1, § 920 Abs. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2015 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 vorläufig monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 661,14 EUR für die Antragstellerin zu 1 (399,00 EUR Regelbedarf, 143,64 EUR Mehrbedarf für Alleinerziehende und 118,50 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung) sowie in Höhe von 352,50 EUR für den Antragsteller zu 2 (234,00 EUR Sozialgeld und 118,50 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung) zu gewähren sowie die Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung der Antragstellerin zu 1 in Höhe von 76,83 EUR (62,80 EUR Krankenversicherung und 14,03 EUR Pflegeversicherung) zu übernehmen.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Instanzen zu erstatten.
III. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J M , G , L , ab Antragstellung bewilligt. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlungen aus dem Vermögen zu leisten.
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2014, mit dem ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 zu gewähren, abgelehnt worden ist. Die am 1991 geborene Antragstellerin zu 1 ist Staatsangehörige der Republik Indonesien. Sie hält sich seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Seit 1. September 2013 ist sie als Studentin an der W Hochschule Z im Studiengang Versorgungs- und Umwelttechnik immatrikuliert und verfügt über eine derzeit bis zum 31. März 2015 befristete Aufenthaltserlaubnis für Studenten nach § 16 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthaltG). Ihr sind die Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr nicht überschreiten darf, sowie studentische Nebentätigkeiten gestattet. Die Antragstellerin zu 1 ist derzeit wegen der Betreuung und Erziehung ihres am 2014 geboren Kindes, dem Antragsteller zu 2, vom Studium beurlaubt. Bis zur Beurlaubung wurde ihr Studium durch die Republik Indonesien finanziert, danach jedoch eingestellt. Für ihre Wohnung im Studentenwohnheim hat die Antragstellerin zu 1 für sich und das mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Kind eine Warmmiete in Höhe von monatlich 237,00 EUR aufzubringen. Zudem hat sie für ihre freiwillige Mitgliedschaft als Studentin bei der AOK Plus einen monatlichen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 76,83 EUR (62,80 EUR Krankenversicherung; 14,03 EUR Pflegeversicherung) zu zahlen. Über Einkünfte und Vermögen verfügen die Antragsteller nicht. Die Gewährung von Eltern- oder Kindergeld wurde abgelehnt. Die Antragsteller führen vor dem Amtsgericht Z (Az. 9 F 1241/14) eine Klage gegen einen deutschen Staatsangehörigen auf Feststellung des Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses. Am 30. Oktober 2014 beantragte die Antragstellerin zu 1 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und das mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Ki...