Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Vergütungsfestsetzungsverfahren. Entschädigungsklage. Rechtsanwaltsinteresse. Obliegenheit zur Nachfrage nach dem Stand des Festsetzungsverfahrens vor Ablauf von drei Jahren. fehlende Erkundigung bei Gericht. verzögerndes Klägerverhalten. mangelndes Interesse. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise. sozialgerichtliches Verfahren. Beschränkung der Entschädigungsklage auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren. Vorbereitungs- und Bedenkzeit. 3 Monate für Vergütungsfestsetzungsverfahren. 12 Monate für Erinnerungsverfahren. instanzenübergreifende Verrechnung
Orientierungssatz
1. Ein Rechtsanwalt ist gehalten, sich vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist für seinen Vergütungsanspruch (§ 195 BGB) beim SG nach dem Ausgang des Vergütungsfestsetzungsverfahrens zu erkundigen. Fragt er nicht rechtzeitig nach, wird dies im Rahmen einer Entschädigungsklage nach § 198 GVG (wegen überlanger Dauer des Vergütungsfestsetzungsverfahrens) als verzögerndes Verhalten eines Verfahrensbeteiligten gewertet (hier mit der Folge eines Abzugs von 12 Monaten).
2. Hat sich der Rechtsanwalt vor Erhebung der Verzögerungsrüge (hier in vier Jahren) kein einziges Mal nach dem Verfahrensstand beim SG erkundigt, kann anstelle einer Geldentschädigung die Wiedergutmachung auf andere Weise nach § 198 Abs 2 S 2 iVm Abs 4 S 1 GVG ausreichend sein.
3. Eine Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens kann zulässigerweise auf das Verfahren der Vergütungsfestsetzung (ohne Erinnerungsverfahren) beschränkt werden.
4. Eine solche beschränkte Entschädigungsklage kann auch erhoben werden, bevor das Kostenverfahren rechtskräftig durch Abschluss des Erinnerungsverfahrens beendet worden ist.
5. Durch eine Beschränkung der Entschädigungsklage auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren wird eine instanzenübergreifende Kompensation von Inaktivitätszeiten nicht ausgeschlossen (vgl LSG Chemnitz vom 29.3.2017 - L 11 SF 70/16 EK).
6. Der Senat hält es für angemessen, bei Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG in der Regel eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten einzuräumen (vgl LSG Stuttgart vom 3.7.2019 - L 2 SF 1441/19 EK AS).
7. Anders als für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG besteht für das Erinnerungsverfahren nach § 56 RVG kein Anlass, die Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten zu verkürzen.
Nachgehend
Tenor
I. Für das PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren beim Sozialgericht Chemnitz wird eine überlange Verfahrensdauer festgestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger ¾ und der Beklagte ¼.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 4.800,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer des Vergütungsfestsetzungsverfahrens .
In dem zugrunde liegenden Klageverfahren um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vor dem Sozialgericht (SG) Chemnitz wurde den dortigen Klägern mit Beschluss vom 14.02.2014 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des hiesigen Klägers gewährt. Das Klageverfahren endete mit der Annahme eines Anerkenntnisses. Gleichwohl entschied das SG mit Beschluss vom 10.11.2014, dass das dort beklagte Jobcenter nicht zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der dort klagenden Leistungsempfänger verpflichtet sei, weil letztere Nachweise erst nach mehrmaliger Aufforderung des Gerichts vorgelegt hätten, auf die das Jobcenter umgehend mit dem Anerkenntnis reagiert habe.
Nach Angaben des Klägers stellte dieser am 29.10.2014 einen PKH-Vergütungsfestsetzungsantrag beim SG. Nach Aktenlage gestaltet sich das Vergütungsfestsetzungsverfahren im Weiteren wie folgt:
Am 17.12.2008 erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge beim SG, denn er könne nicht nachvollziehen, wie ein am 29.10.2014 gestellter Festsetzungsantrag bisher habe unbearbeitet bleiben können.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 22.01.2019 forderte das SG den Kläger auf, den Vergütungsfestsetzungsantrag bis 14.02.2019 zu übersenden, da dieser der (Gerichts-)Akte nicht zu entnehmen sei.
Am 25.01.2019 teilte das Jobcenter nach Aufforderung durch das SG mit, das ihm kein Festsetzungsantrag des Klägers vorliege.
Der Bezirksrevisor beantragte mit Schreiben vom 11.02.2019 die Zurückweisung der Vergütungsfestsetzung wegen eingetretener Verjährung und fehlenden Nachweises einer rechtzeitigen Antragstellung.
Dem trat der Kläger mit Schreiben vom 21.03.2019 unter Hinweis auf ein Faxprotokoll vom 29.10.2014 zum Vergütungsfestsetzungsantrag entgegen, ohne dieses beizulegen.
Am 27.03 2019 erließ die Urkundsbeamtin beim SG einen Kostenfestsetzungsbeschluss (Az….) ohne Tenor und Gründe, gegen den der Kläger Erinnerung einlegte.
Ab 05.04.2019 befanden sich die Gerichtsakten zur Prüfung eines Amtshaftungsanspruchs und einer Dienstaufsichtsbeschwerde des Klägers gegen den Bezirksrevisor vollständig bei Sächsischen Landessozialgericht (L...