Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Vergütungsfestsetzungsverfahren. Entschädigungsklage. Rechtsanwaltsinteresse. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise. sozialgerichtliches Verfahren. teleologische Reduktion der Klagefrist bei abgeschlossenem Ausgangsverfahren. Vorbereitungs- und Bedenkzeit. 3 Monate für Kostenfestsetzungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Für die Entschädigungsklage eines Rechtsanwalts wegen überlanger Dauer eines Vergütungsfestsetzungsverfahrens kann anstelle einer Geldentschädigung die Wiedergutmachung auf andere Weise nach § 198 Abs 2 S 2 iVm Abs 4 S 1 GVG ausreichend sein.

2. Das Fristerfordernis des § 198 Abs 5 S 1 GVG ist im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einzuschränken, dass es keine Anwendung findet, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechsmonatsfrist abgeschlossen wurde, weil der Zweck der Wartefrist dann nicht mehr erreicht werden kann (vgl LSG Chemnitz vom 22.1.2018 - L 11 SF 65/17 EK).

3. Der Senat hält es für angemessen, bei Kostenfestsetzungsverfahren in der Regel eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten einzuräumen (vgl LSG Stuttgart vom 3.7.2019 - L 2 SF 1441/19 EK AS).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.05.2021; Aktenzeichen B 10 ÜG 23/20 B)

 

Tenor

1. Für das PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren beim Sozialgericht Chemnitz wird eine überlange Verfahrensdauer festgestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 7/10 und der Beklagte 3/10.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4Der Streitwert wird auf 3.600 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für die Dauer des Vergütungsfestsetzungsverfahrens (Ausgangsverfahren) im Verfahren .

In diesem Verfahren um Leistungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurde mit Beschluss vom 27.05.2015 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt A. gewährt und im Folgenden der Klage mit Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 01.09.2015 stattgegeben, wobei die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland als Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers verpflichtet wurde.

Mit am 10.10.2016 eingegangenem Schreiben vom 05.12.2016 hat der Kläger beim Sozialgericht die Festsetzung seiner Vergütung beantragt. Unter dem 30.12.2019 hat der Kläger eine Verzögerungsrüge erhoben. Mit Schreiben vom 03.01.2020 teilte die Kostenbeamtin des Sozialgerichts dem Kläger mit, sein Vergütungsfestsetzungsantrag sei versehentlich nicht bearbeitet worden. Da er nunmehr Kostenfestsetzung beantragt und die Beklagte die vollen Kosten zu tragen habe, werde davon ausgegangen, dass vorrangig der Kostenfestsetzungsantrag betrieben werde. Aufgrund dessen werde um Rücknahme des Vergütungsfestsetzungsantrags innerhalb dreier Wochen gebeten. Diese Bitte wurde nach Aktenlage unter dem 18.02.2020 wiederholt. Der Kläger reagierte darauf nicht.

Mit Beschluss vom 12.03.2020 wurden die zu erstattenden Gebühren und Auslagen Klägers im Vergütungsfestsetzungsverfahren in Höhe 119,00 € (abzüglich der Zahlung der Beklagten in Höhe von 380,80 €) festgesetzt, am 24.03.2020 bekanntgegeben und ausgezahlt.

Mit am 21.04.2020 beim Landessozialgericht eingegangenem Schreiben vom gleichen Tag hat der Kläger einen Antrag auf Entschädigung für die Dauer des Vergütungsfestsetzungsverfahrens gestellt. Zur Begründung trägt er vor, er habe unter dem 30.12.2019 eine Verzögerungsrüge erhoben. Mit Übersendung des Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 12.03.2020 sei seine Vergütung festgesetzt worden. Es sei nicht hinnehmbar, dass er insgesamt 3,5 Jahre auf diese Festsetzung habe warten müssen. Wegen der Verzögerung müsse der Kläger beispielsweise mittels teuren Kontokorrentkrediten in Vorleistung gehen, damit er die schlechte Zahlungsmoral des Beklagten ansatzweise ausgleichen könne. Bei Zubilligung einer Überlegungsfrist von drei Monaten habe das Verfahren 36 Monate überlang gedauert. Er mache den Pauschalsatz nach § 198 Absatz 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und mithin 3.600 € geltend.

Der Kläger beantragt,

der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger als Entschädigung für immaterielle Nachteile nach § 198 Abs. 2 GVG eine Entschädigungssumme in Höhe von 3.600 € nebst Zinsen hieraus in Höhe 5 Prozent über dem Basiszinssatz wegen der Verzögerung der Vergütungsfestsetzung in dem Verfahren zu zahlen.

Der Beklagte verzichtete auf eine Stellungnahme.

Die Beteiligten stimmten einer Entscheidung der Streitsache ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter zu. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verfahrensakten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 155 Abs. 3 und 4 SGG), bleibt hinsichtlich des Entschädigungsantrags in Geld erfolglos (dazu 1.), hat jedoch im Hinblick auf ein Feststellungsbegehren, das ge...

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