Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Regelbedarfsstufe 1 oder 2. in getrennten Wohnungen lebende Ehegatten. Bedarfsgemeinschaft. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Alleinstehend im Sinne des § 20 Abs 2 S 1 SGB 2 ist, wer keiner Bedarfsgemeinschaft mit anderen hilfebedürftigen Personen angehört oder allein für seine Person "eine Bedarfsgemeinschaft" bildet (vgl BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 21/15 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 26).
2. Die Auslegung des Begriffs "Getrenntleben" in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 richtet sich nach familienrechtlichen Grundsätzen (vgl BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R = BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16 und vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 42). Für die Annahme dauernden Getrenntlebens muss nach familienrechtlichen Grundsätzen zur räumlichen Trennung ein nach außen erkennbarer Trennungswille eines Ehegatten zur Lösung des einvernehmlich gewählten Ehemodells hinzutreten.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 17. März 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) der Klägerin vom 1. Januar 2014 bis zum 31. März 2014 und vom 1. Oktober 2014 bis zum 31. März 2015 zu zahlenden Regelbedarfes.
Die 1959 geborene Klägerin lernte ihren späteren Ehemann, den 1953 geborenen C., 1998 kennen und war mit ihm seit 1999 verlobt. Im gleichen Jahr eröffnete sie als Alleininhaberin gemeinsam mit C.., der bis zu diesem Zeitpunkt als Unternehmensberater tätig war, in Z. eine Gaststätte. Die erste gemeinsame Wohnung bezogen sie im Jahr 2000 oder 2001. Zwei oder drei Jahre später zogen sie gemeinsam in eine größere Wohnung in Z.. in die Nähe der Gaststätte. Im Jahr 2012 wurde über das Vermögen der Klägerin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Bereits ca. zwei oder drei Jahre vor der Insolvenzeröffnung zogen beide gemeinsam innerhalb von Z. in eine kleinere Wohnung um.
Die Klägerin und C. gaben aufgrund der finanziellen Probleme spätestens 2011 den Betrieb der Gaststätte in Z. auf und verlegten gemeinsam ihren Wohnsitz nach Y., wo C. schon zu einem früheren Zeitpunkt einen Garten mit Finnhütte im Kleingartenverein X.. Y. gepachtet hatte. Das Sächsische Melderegister weist die W.straße in Y. als neue Wohnadresse der Klägerin ab dem 1. Juli 2011 und von C. ab dem 1. November 2011 aus. Die Klägerin betrieb mit Hilfe von ihm unter dieser Adresse erneut kurzzeitig eine Gaststätte. Ca. im Mai 2012 wurden im Zuge des Insolvenzverfahrens in der W.straße die Schlösser ausgetauscht. Die Klägerin und C. zogen im August oder September 2012 aus der Wohnung aus und bezogen, da die Beziehung in eine Krise geraten war und sie "nicht mehr so aufeinander hängen" konnten, getrennte Wohnungen.
Die Klägerin beantragte erstmals am 15. Mai 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Nachdem sie zunächst durch Bekannte aufgenommen worden war, zog sie ausweislich des Sächsischen Melderegisters am 1. April 2013 in eine Einraumwohnung in Y., U.Straße, wo sie immer noch lebt.
C. beantragte erstmals am 2. November 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Er war ausweislich des Sächsischen Melderegisters vom 22. November 2012 bis zum 1. Januar 2015 in Y., V., in einem Flachbau und ehemaligen Jugendtreff mit zwei Zimmern und Toilette wohnhaft.
Die beiden neuen Wohnungen in der V. und U…Straße liegen ca. 1,8 km voneinander entfernt. Der Kleingartenverein X… liegt wenige hundert Meter und wenige Gehminuten von der U…Straße entfernt.
Am 30. Januar 2014 schlossen die Klägerin und C. den Bund der Ehe. Maßgebender Grund für die Eheschließung war der damit mögliche Wechsel der Klägerin von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung. Zudem war C. nach dem lange Zeit bestehenden Verlöbnis und nach dem Ende der Gaststätten der Meinung, dass die Klägerin „irgendetwas etwas von mir bekommen sollte, zum Beispiel eine Witwenrente“. Das Paar hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, die Partnerschaft und nachfolgend die geschlossene Ehe zu beenden oder sich zu trennen.
Im Ergebnis einer erheblichen Betriebskostennachforderung und einer daraufhin im Frühjahr 2014 veranlassten Stromsperre zog der Ehemann der Klägerin Ende 2014 aus der Wohnung in der V. aus und bewohnt seit dieser Zeit nur noch die Finnhütte im Kleingartenverein X. Er ist unter wechselnden Anschriften amtlich gemeldet, zeitweise unter der Anschrift seiner Schwiegermutter in T. und nunmehr unter einer Anschrift in Z.
Die Eheleute bewohnen seit dem Auszug aus der Wohnung in der W.strasse Ende 2012 bis heute getrennte Wohnungen, führen wirtschaftlich getrennte Haushalte und sahen sich 2014 und 2015 sporadisch ca. zwei bis dreimal in de...