Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. medizinische Rehabilitation nach Strafhaft. kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2 aF. kostenfreie Vollverpflegung in stationärer Einrichtung. Nichtberücksichtigung als Einkommen oder als sonstige Hilfe eines anderen Sozialleistungsträgers. Pauschalierungsgrundsatz. keine Kürzung der Regelleistung. keine abweichende Bedarfsfestlegung. Sachbezug

 

Orientierungssatz

1. Erfolgt im Anschluss an eine Strafhaft die Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, so ist für die Ermittlung des Leistungsausschlusses aus § 7 Abs 4 SGB 2 idF vom 24.3.2006 die Dauer der Haftunterbringung nicht mit der Zeit der stationären Rehabilitation zusammenzurechnen.

2. Die in einer stationären Einrichtung zur Verfügung gestellte Ernährung zählt zwar zu dem Bedarf iS des § 20 Abs 1 S 1 SGB 2, führt aber nicht zu einer Reduzierung des Bedarfs eines Hilfebedürftigen.

3. Der Pauschalierungsgrundsatz gem § 3 Abs 3 S 2 SGB 2 beinhaltet nicht nur das Verbot, zusätzliche Leistungen nach dem SGB 2 - außer den gesetzlich geregelten Leistungen - zu erbringen, sondern auch einen Rechtsanspruch auf die volle pauschalierte Regelleistung (vgl LSG Celle-Bremen vom 30.7.2007 - L 8 AS 186/07 ER = info also 2007, 263).

4. Das SGB 2 enthält keine mit § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 vergleichbare Regelung.

5. Die kostenlose Verpflegung in einer stationären Einrichtung ist keine Hilfe iS des § 9 Abs 1 SGB 2, die der Hilfebedürftige von einem Träger anderer Sozialleistungen (hier: Rentenversicherungsträger) erhalten hat.

6. Die kostenlose Verpflegung während eines stationären Aufenthaltes ist auch keine Einnahme in Geldeswert, so dass es nicht als Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen ist.

7. Zur Nichtberücksichtigung der kostenlosen Verpflegung als geldwerter Sachbezug gem § 2 Abs 4 SvEV.

 

Tenor

I.

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 3. Mai 2007 abgeändert.

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 11. Mai 2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 7. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2006 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 11. April 2006 bis zum 31. Juli 2006 den Regelsatz für Arbeitslosengeld II in voller gesetzlicher Höhe zu zahlen.

II.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 11. April 2006 bis zum 1. August 2006, insbesondere die Anrechnung von Verpflegung im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Der am 1973 geborene Kläger befand sich vom 7. März 2005 bis zum 11. April 2006 in Strafhaft. Bei seiner Entlassung erhielt er ein Haftentlassungsgeld in Höhe von 330,55 EUR.

Noch am Tag der Haftentlassung begann er eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Langzeitentwöhnungstherapie) in der Fachklinik H in W. Diese dauerte bis zum 1. August 2006. Kostenträger hierfür war die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland. Mit Bescheid vom 15. Juni 2006 teilte diese dem Kläger mit, er habe für die Leistung nach § 32 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) mangels eines entsprechenden Erwerbseinkommens oder Erwerbsersatzeinkommens keine Zuzahlungen zu leisten.

Am 11. April 2006 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2006 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für Mai und Juni 2006 in Höhe von jeweils 132,40 EUR und für Juli 2006 in Höhe von 138,00 EUR. Für April 2006 sei das Haftentlassungsgeld in Höhe von 330,55 EUR anzurechnen, sodass sich kein übersteigender Bedarf ergebe. Zudem seien Bestandteile der Regelleistung in Höhe von 168,60 EUR für Mai und Juni 2006 sowie in Höhe von 207,00 EUR für Juli 2006 vom Regelsatz abzuziehen. Der Kläger werde sich voraussichtlich bis Ende Juli 2006 in stationärer Behandlung aufhalten. Während dieses Zeitraumes sei seine Ernährung (38 % der Regelleistung) gesichert. Außerdem sei der Anteil für Strom (8 % der Regelleistung) sowie der Anteil für Möblierung (8 % der Regelleistung) für ihn nicht notwendig, da er derzeit über keine eigene Wohnung verfüge. Da es sich zudem um eine stationäre Unterbringung handle, werde auch der Regelsatzanteil für öffentliche Verkehrsmittel (6 % der Regelleistung) nicht benötigt. Um diese Anteile seien die Regelleistungen zu kürzen.

Am 23. Mai 2006 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Die vorgenommene Kürzung sei nicht zulässig; es gelte vielmehr der volle Regelsatz nach § 20 SGB II. Insbesondere sei das Haftentlassungsgeld nicht anzurechnen. Es handle sich um angesparte Geldmittel für Kleidung sowie den Bedarf für Erstausstattung

Mit Änderungsbescheid vom 7. Juni 2006 bewilligte der Beklagte 88,27 EUR für April 2006,...

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