Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Rollstuhlfahrer. Brems- und Schiebehilfe. Gewicht der zu schiebenden Person
Leitsatz (amtlich)
1. Für Dritte ist das Schieben eines Rollstuhls jedenfalls bei einem Gesamtgewicht von zu Schiebendem und Rollstuhl von 160 kg nur unter Zuhilfenahme einer Brems-und Schiebehilfe zumutbar.
2. Zur Frage, auf wessen körperliche Leistungsfähigkeit abzustellen ist, wenn die zu schiebende Person über ein durchschnittliches Körpergewicht verfügt.
Orientierungssatz
1. Die Anwendung des § 33 SGB 5 ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die begehrte Brems- und Schiebehilfe auch der Erleichterung der Pflege des Versicherten dient. Die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB 11 bezieht sich nur auf die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln im häuslichen Bereich, nicht aber auf diejenige im stationären Bereich (vgl BSG vom 10.2.2000 - B 3 KR 26/99 R = BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37) und schließt einen Anspruch auf Hilfsmittel nach § 33 SGB 5 nicht grundsätzlich aus.
2. Der Versorgungsanspruch nach § 33 SGB 5 wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Versicherte in einem Pflegeheim befindet und dort vollstationär gepflegt wird (vgl BSG vom 10.2.2000 - B 3 KR 26/99 R aaO und vom 28.5.2003 - B 3 KR 30/02 R = SozR 4-2500 § 33 Nr. 4).
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. September 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Brems- und Schiebehilfe nebst Zubehör für seinen Multifunktionsrollstuhl.
Der am …1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet unter einem Zustand nach intracerebraler Blutung und einem Epilepsiesyndrom. Er lebt in einer vollstationären Pflegeeinrichtung und bezieht Leistungen nach der Pflegestufe II. Seine Ehefrau lebt in derselben Einrichtung, verfügt aber über eine eigene Wohnung. Die Beklagte versorgte den Kläger im Jahre 2007 mit einem Multifunktionsrollstuhl, dessen Eigengewicht 37,5 kg beträgt. Das Körpergewicht des Klägers liegt nach seinen Angaben derzeit bei 120 kg.
Am 08.07.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung des Facharztes für Innere Medizin R… vom 01.07.2008 eine Brems- und Schiebehilfe nebst Zubehör für seinen Multifunktionsrollstuhl. Ausweislich des beigefügten Kostenvoranschlages der Firma Orthopädietechnik M… & B… GmbH sollten sich die Gesamtkosten für die beantragte Versorgung auf 3.512,29 EUR belaufen.
Mit Bescheid vom 08.07.2008 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Brems- und Schiebehilfe mit der Begründung ab, der Kläger sei Bewohner einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Zu deren Leistungen gehöre neben der Pflege auch das Bereitstellen von Hilfsmitteln, sofern diese für den üblichen Pflegebetrieb notwendig seien. Die Brems- und Schiebehilfe solle den Pflegepersonen das Schieben erleichtern. Im Pflegeheim seien die Pflegepersonen die Pfleger des Heimes. Somit falle die Schiebehilfe in die Ausstattungspflicht des Pflegeheimes.
Hiergegen legte die Betreuerin des Klägers am 05.08.2008 Widerspruch ein, den sie mit Schreiben vom 11.09.2008 begründete. Der Kläger werde regelmäßig mit seinem Rollstuhl ausgefahren. Ohne Brems- und Schiebehilfe sei das Ausfahren mit dem Rollstuhl durch das Pflegepersonal oder durch die Angehörigen sehr schwierig. Zu berücksichtigen seien insoweit das Körpergewicht des Klägers sowie das Gewicht des Rollstuhles, bei dem es sich um eine Sonderanfertigung handele.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, die begehrte Versorgung sei nach dem Hilfsmittelverzeichnis dann angezeigt, wenn normalerweise ein handbetriebener Rollstuhl ausreiche, die Restkräfte des Rollstuhlnutzers aber zu gering seien, sich selbstständig fortzubewegen und die Eigenkräfte der Begleitperson nicht ausreichten, um einen Rollstuhl zu schieben. Da der Kläger in einer vollstationären Pflegeeinrichtung lebe, sei Begleitperson im Sinne des Hilfsmittelverzeichnisses das Pflegepersonal der Pflegeeinrichtung und nicht der Angehörige. Es könne davon ausgegangen werden, dass es sich beim Pflegepersonal um Menschen handele, die körperlich in der Lage seien, die zu pflegenden Personen im Rollstuhl ohne Probleme zu schieben. Zur Erschließung seines körperlichen Freiraumes im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe dem Kläger ein Rollstuhl zur Verfügung. Die Nutzung einer Brems- und Schiebehilfe gehöre nicht mehr zur Befriedigung von Grundbedürfnissen, für die die gesetzliche Krankenversicherung leistungspflichtig sei. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die beantragte Brems- und Schiebehilfe, um den Radius seiner Fortbewegung über den ...