Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Einstiegsgeld. Bewilligung für nur 6 Monate. keine ausreichende Begründung der Ermessensentscheidung. Nachholung im Überprüfungsverfahren. Möglichkeit der nachträglichen Verlängerung der Förderungsdauer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Entscheidung über eine (Weiter-)Gewährung von Einstiegsgeld ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Ein typisierendes und pauschalierendes Vorgehen ist nicht zulässig.

2. Der Mangel einer fehlerhaften Ermessensausübung kann noch in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X beseitigt werden.

3. Dass hinsichtlich des Einstiegsgeldes regelmäßig eine sechsmonatige Förderdauer als ausreichend angesehen wird, entbindet die zuständige Behörde nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalles festzustellen und zu würdigen.

4. Zur Frage, ob eine Weiterbewilligung von Einstiegsgeld über die bewilligte Förderdauer hinaus rechtlich möglich ist.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 3. Juni 2019 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 4. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2014 sowie des Bescheides vom 11. Oktober 2012 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 21. Mai 2012 auf Bewilligung von Einstiegsgeld nach § 16b SGB II unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen ein Urteil, mit dem ihre Klage, gerichtet auf die Fortzahlung des ihr für sechs Monate bewilligten Einstiegsgeldes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) über den 9. März 2013 hinaus, abgewiesen worden ist.

Die 1983 geborene Klägerin beendete im Juli 2002 erfolgreich die Ausbildung zur Pferdewirtin (Fachrichtung Pferdezucht und -haltung). Sie verfügt über das Deutsche Reiterabzeichen der Klasse III.

Ausweislich der Verwaltungsakte (Vermittlung) des Beklagten absolvierte die Klägerin im September 2005 eine 12tägige Trainingsmaßnahme auf einem Pferdehof. Für September 2005 bis Anfang Dezember 2005 sind verschiedene Bewerbungen, unter anderem als Pferdepflegerin, dokumentiert.

Der Beklagte übernahm mit Bescheid vom 8. März 2007 die Kosten für die Teilnahme an einem dreitägigen Existenzgründungsseminar.

Die Klägerin meldete am 17. Dezember 2007 das Gewerbe "Pension, Haflinger- und Ponyhof, sowie Verkauf von Pferden, Futtermittelhandel, Reitbetrieb und Pferdepension" für die Betriebsstätte in Y.... OT X.... an.

Am 21. Dezember 2007 beantragte sie die Gewährung von Einstiegsgeld. Ausweislich der internen Stellungnahme vom 5. Dezember 2007 beabsichtigte die Klägerin, sich mit Dienstleistungen auf einem Reiterhof in Form eines Einzelunternehmens selbständig zu machen. Ab 2009 wolle sie mit der Stutenmilchproduktion beginnen. Den Reiterhof wolle sie pachten. Bezogen auf die privaten und betrieblichen Ausgaben lasse die vorliegende Wirtschaftlichkeitsberechnung bereits ab dem ersten vollen Geschäftsjahr die Möglichkeit einer erfolgreichen Entwicklung erkennen. Die anfallenden Gründerkosten würden durch Eigenmittel gedeckt.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23. Januar 2008 Einstiegsgeld für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008 in Höhe von monatlich 200,00 EUR.

Den Antrag auf Fortzahlung des Einstiegsgeldes im Schreiben vom 25. Juni 2008, den die Klägerin damit begründete, dass der Schwerpunkt des Betriebes auf der Stutenmilchproduktion liege, eine Stute aber erst nach 11 Monaten ein Fohlen bekommen könne, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. September 2008 ab.

Der Beklagte wies die Klägerin mit Bescheid vom 26. April 2010 der einmonatigen Maßnahme "Existenzgründerkontaktstelle - Teil B für Selbständige - Modul 3 (Situationsanalyse)" und mit Bescheid vom 7. Juli 2010 der sechsmonatigen Maßnahme "Existenzgründerkontaktstelle - Teil B für Selbständige - Modul 4 (Coaching/Begleitung für Selbständige)" zu. Die zweite Zuweisungsentscheidung wurde zunächst "ausgesetzt", weil der Pachtvertrag Ende Juni/Anfang Juli 2010 nach der Veräußerung des Reiterhofes gekündigt worden war, und schließlich mit Bescheid vom 1. September 2010 widerrufen.

In der Folgezeit betrieb die Klägerin das Gewerbe nur nebenberuflich und wohnte bei ihren Eltern.

Am 21. Mai 2012 sprach die Klägerin beim Beklagten vor. Sie erläuterte unter anderem, dass sie den W....-Hof in V.... erwerben wolle. Sie wolle eine Pferdepension, eine Reitschule und Gästezimmer anbieten. Der Umzug auf den Hof sei geplant. Der Beklagte reichte bei diesem Termin der Klägerin den Antrag für einen Zuschuss für Existenzgründung aus.

Am 28. August 2012 meldete die Klägerin ein Gewerbe für "Pferdepension, Reitunterricht, Kutsch- und Kremserfahrten, Gästezimmer; Futterm...

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