Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung für den Erlass eines Gerichtsbescheides im sozialgerichtlichen Verfahren um die Feststellung eines Grades der Behinderung. Umfang der Pflicht zur Amtsermittlung im Streit um die Zuerkennung eines Grades der Behinderung. Zurückverweisung. Beweisaufnahme. Geklärter Sachverhalt
Orientierungssatz
1. Ein Gerichtsbescheid kommt im sozialgerichtlichen Verfahren über die Feststellung eines Grades der Behinderung nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Sachverhalt auch in medizinischer Hinsicht geklärt ist. Dabei ist ein Sachverhalt erst dann als geklärt anzusehen, wenn Zweifel hinsichtlich des Sachverhalts ausgeschlossen sind, insbesondere auch die Feststellungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen und den daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen abschließend geklärt sind.
2. Kann den Verwaltungsakten in einem Verfahren über die Festsetzung eines Grades der Behinderung (hier: psychischen Erkrankungen) nicht entnommen werden, in welchem Maße und Umfang bestimmte Gesundheitsbeeinträchtigungen zu konkreten Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Betroffenen führen, so muss das Sozialgericht den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären, insbesondere durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Normenkette
SGG § 103 S. 1, § 105 Abs. 1 S. 1, § 159 Abs. 1 Nr. 2; SGB IX § 69
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 16. Juli 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 30.
Der am …1973 geborene Kläger stellte am 24. September 2012 bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach § 69 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) rückwirkend ab 2008.
Befundberichte wurden eingeholt von der Fachärztin für Allgemeinmedizin F. (C.) vom 14. November 2012 (Diagnosen: seit Jahren rezidivierende Blutdruckerhöhung, abhängig vom psychischen Befinden, rezidivierende Palpitionen, thorakale Beschwerdesymptomatik) und von Dipl.-Med. B. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in F.), der unter dem 24. Januar 2013 folgende Diagnosen benannte: Hypertonie und mittelgradige Depression mit Panikstörung, verdächtige Hypochondrie in Verbindung mit einer Angstneurose, wobei die Hypertonie aber auch psychosomatisch bedingt sei.
Für den Ärztlichen Dienst der Beklagten stellte Frau Dipl.-Med. Z. unter dem 7. Februar 2013 fest, dass ein Gesamt-GdB von 30 vorliege (seelische Störung - Einzel-GdB 30, Bluthochdruck - Einzel-GdB 10).
Mit Bescheid vom 11. Februar 2013 stellte die Beklagte bei dem Kläger das Vorliegen eines GdB von 30 fest ab 1. Januar 2008 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen: seelische Störung, Bluthochdruck.
Dagegen legte der Kläger am 15. Februar 2013 Widerspruch ein. Der GdB sei zu gering bemessen. Durch seine Leiden sei er nicht nur im persönlichen, sondern hauptsächlich im beruflichen Bereich erheblich eingeschränkt. Wegen der Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen könne er kein normales Leben mehr führen. Am täglichen Leben könne er nicht mehr teilhaben, da das körperliche Wohlbefinden immer mehr beeinträchtigt werde. Momentan mache sich dies zusätzlich durch Herzrhythmusstörungen bemerkbar, die jetzt ärztlich behandelt werden müssten. Auch in seinem Beruf als Polizeivollzugsbeamter sei er nicht mehr in der Verwendungsbreite seines Amtes entsprechend einsetzbar.
Ein weiterer Befundbericht wurde von der Fachärztin F. eingeholt, die unter dem 23. April 2013 davon berichtete, dass seit Januar 2013 eine arterielle Hypertonie vorliege, die medikamentös behandelt werde. Ab und zu komme es zu Herzrhythmusstörungen im Sinne von "Herzstolpern", das aber klinisch nicht relevant sei. Ein Befundbericht wurde auch eingeholt von der Polizeiärztin/Fachärztin für Innere Medizin/Betriebsmedizin Dr. L. (Polizeiverwaltungsamt C.), die einen Brief der Psychotherapeutin Dipl.-Psych. Gräfin zu C. (C.) vom 20. Juli 2012 vorgelegt hat (Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; hypochondrische Störung).
Für den Ärztlichen Dienst der Beklagten nahm Frau Dipl.-Med. S. unter dem 16. Juli 2013 Stellung. Die Herzrhythmusstörungen seien hämodynamisch nicht relevant, es liege keine kardiale Insuffizienz vor. Diese gingen in die seelische Störung mit ein, gehörten zu diesem Störungskomplex. Insgesamt bestehe ein somatoformes Krankheitsbild (Herzneurose) mit depressiven Episoden bei familiärer und beruflicher Belastung, familiär entlastet durch Versetzung in die Tagesschicht, beruflich noch wechselnde Belastungen mit dem Gefühl gemobbt zu werden, dann wieder verstärkte Symptome. Eine schwere psychische Störung l...