Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung von Rentenzahlungen. rückwirkende Einbehaltung. Prüfung von Hilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Prüfung von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II oder dem SGB XII für die Vergangenheit im Rahmen einer Verrechnung erübrigt sich im gerichtlichen Verfahren, wenn die Verrechnung in der Vergangenheit tatsächlich nicht vorgenommen wurde, weil eine rückwirkende Einbehaltung ausgezahlter laufender Geldleistungen nicht mehr möglich ist. Die Verrechnung für die Vergangenheit hat sich insoweit durch Zeitablauf erledigt.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz vgl LSG Darmstadt vom 8.4.2014 - L 2 R 526/11 = juris RdNr 34.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verrechnung einer Forderung der Beigeladenen aus einer Bürgschaft in Höhe von 144.876,46 Euro mit einem Teilanspruch der Klägerin auf die von der Beklagten gezahlte Altersrente in Höhe von 200,00 Euro monatlich ab 1. Januar 2014.
Die 1941 geborene Klägerin war, neben zwei weiteren Personen (W... und K...), Geschäftsführerin der Z... Bau GmbH. Aus der Zeit der Geschäftstätigkeit der Z... Bau GmbH vom 1. August 1992 bis 31. Januar 1993 resultierten Forderungen der beigeladenen Krankenkasse in Form von Beiträgen, Umlagebeiträgen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz, Säumniszuschlägen, Kosten, Gebühren und Zinsen in Höhe von 477.374,51 DM. Über diesen Betrag schloss die beigeladene Krankenkasse am 10. März 1993 mit der Z... Bau GmbH, unter anderem vertreten durch die Klägerin, einen Schuldanerkenntnis- und Ratenzahlungsvertrag. Zugleich übernahm die Klägerin am 10. März 1993 (ebenso die weiteren Geschäftsführer) für den anerkannten Anspruch zu Gunsten der beigeladenen Krankenkasse eine selbstschuldnerische Bürgschaft, beschränkt auf einen Betrag in Höhe von 400.000,00 DM. Über das Vermögen der Z... Bau GmbH wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren am 15. Juni 1993 eröffnet und am 21. Mai 2013 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Vermögensmasse eingestellt (Verfahren des Amtsgerichts Dresden -Insolvenzgericht- zum Aktenzeichen: 542 IN 201/93). Die beigeladene Krankenkasse ließ sich die Forderungen gegenüber der Klägerin (sowie den weiteren Geschäftsführern) in mehreren Zivilrechtsstreiten titulieren. Gegenüber der Klägerin resultiert daraus ein Gesamtbetrag in Höhe von 144.876,46 Euro. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus:
1. der Forderung aus dem rechtskräftigen Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 1998 (im Verfahren 13 U 3077/97) in Höhe von 132.471,52 DM und 158.127,17 DM (jeweils nebst vier Prozent Zinsen seit 1. September 1995) = 148.580,75 Euro,
2. der Forderung aus dem rechtskräftigen Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts G... vom 15. Oktober 1998 (im Verfahren 4 O 517/96) in Höhe von 7.092,61 DM und 10.547,06 DM (jeweils nebst vier Prozent Zinsen ab 30. Juni 1998) = 9.019,02 Euro,
3. abzüglich der Quotenzahlung aus dem Gesamtvollstreckungsverfahren in Höhe von 12.673,31 Euro sowie
4. abzüglich einer einmaligen Ratenzahlung der Klägerin am 30. Oktober 2013 über einen Betrag in Höhe von 50,00 Euro.
Die Klägerin bezog von der Beklagten vom 24. August 1995 bis 30. Juni 2006, zunächst befristet, ab Dezember 1999 unbefristet, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Seit 1. Juli 2006 bezieht sie von der Beklagten Regelaltersrente (in Höhe eines damaligen Zahlbetrags von 925,33 Euro monatlich). Seit 1. Juni 2012 bezieht sie von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland zusätzlich eine große Witwenrente (in Höhe eines damaligen Zahlbetrages von 566,42 Euro monatlich).
Mit Verrechnungsersuchen vom 9. Oktober 2000 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung der Forderungen aus der Bürgschaft. Mit Schreiben vom 16. Januar 2001 stellte die Beigeladene das Verrechnungsersuchen bis zum Abschluss des Gesamtvollstreckungsverfahrens ruhend und erneuerte es mit Verrechnungsersuchen vom 27. März 2013 (nach Einstellung des Gesamtvollstreckungsverfahrens). Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 27. Juni 2013 um Konkretisierung des Verrechnungsersuchens gebeten hatte, nahm die Beigeladene diese Konkretisierung mit Schreiben vom 16. August 2013 in Höhe von 144.926,46 Euro vor und verzichtete bei der Verrechnung auf die Zinsen.
Nach Einholung von Auskünften zu den aktuellen Rentenzahlbeträgen (Regelaltersrente ab 1. Juli 2013 in Höhe von 1.028,32 Euro monatlich und große Witwenrente ab 1. Juli 2013 in Höhe von 584,40 Euro monatlich), Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 23. August 2013 und Vorlage einer Sozialhilfebedarfsbescheinigung der Klägerin vom Landkreis G... vom 24. Oktober 2013 (Bedarf: 593,24 Euro; anrechenbares Nettoeinkommen: 1.591,19 Euro; übersteigendes Einkommen: 997,95 Euro), setzte die Beklagte die Verrechnung mit Bescheid vom 30. Oktober 2013 gegenüber der Klägerin fest: Die Alte...