Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietschulden. Entscheidung über Darlehen oder Zuschuss. Verursachung bzw Verschulden. Bekanntgabe und Bestimmtheit des Verwaltungsakts
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Entscheidung über die Form der Mietschuldenübernahme kann unter anderem die Wirkungen des Darlehens auf die künftige Bereitschaft und Fähigkeit zur Arbeitsmarktintegration oder die Zukunftsperspektive des Betroffenen erheblich sein.
2. Je nach Umfang des Verursachungsbeitrags kann sich ergeben, dass für die Tilgung der Mietschulden ausnahmsweise nicht nur ein Darlehen sondern ein Zuschuss zu gewähren ist. Dies kommt aber nicht in Betracht, wenn die Leistungen in korrekter Höhe bewilligt wurden und nur die Zahlungspraxis fehlerhaft war, weil andernfalls der erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen für Unterkunft und Heizung zumindest in Teilen doppelt erhalten würde.
3. Ein fehlerhaftes Verhalten eines Leistungsträgers, das ohne Auswirkung auf die in richtiger Höhe bewilligten und ausgezahlten Aufwendungen für die Unterkunft bleibt, ist nicht geeignet, eine Anspruch auf Mietschuldenübernahme in Form einer Beihilfe/eines Zuschusses zu begründen. § 22 Abs 5 S 4 SGB 2 aF ist keine Sanktionsregelung für ein Fehlverhalten eines Leistungsträgers.
4. a) In Betracht kommt, die Mietschuldenübernahme als Beitrag/Zuschuss zu bewilligen, um finanzielle Folgelasten des Betroffenen auszugleichen. Hierbei ist aber fraglich, ob es vom Gesetzgeber gewollt und der Sache nach gerechtfertigt ist, die Regelung in § 22 Abs 5 S 4 SGB 2 aF als weitere Grundlage für einen Schadensausgleich neben sonstigen Möglichkeiten wie dem Amtshaftungsanspruch oder dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu behandeln.
b) Es ist einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit verwehrt, eine Entscheidung eines Zivilgerichtes in einem Amtshaftungsprozess, auch wenn es sie als fehlerhaft beurteilen sollte, im Rahmen einer Entscheidung nach § 22 Abs 5 S 4 SGB 2 aF zu korrigieren.
5. Die Frage nach einer möglichen Bekanntgabe eines Bescheides an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft als vermuteten Vertreter für die übrigen Mitglieder ist von der Frage zu trennen, ob der Bescheid inhaltlich an die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichtet ist und ob er insoweit inhaltlich hinreichend bestimmt iS von § 33 Abs 1 SGB 10 ist.
6. Eine Rechtsgrundlage, die ein Jobcenter ermächtigen würde, ein Darlehen im Rahmen einer Übernahme von Mietschulden, die alle Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft betreffen, nur einem Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft zu bewilligen, ist nicht ersichtlich.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers zu 1 wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. Mai 2011 abgeändert. Der Bescheid der ARGE D… vom 27. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 wird aufgehoben, soweit die Bewilligung der Übernahme von Mietschulden als Darlehen über einen Betrag in Höhe von 506,21 EUR hinausgeht. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zu 1 zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 in beiden Instanzen zu erstatten. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 im Berufungsverfahren sind nicht zu er-statten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger zu 1 begehrt die Übernahme von Mitschulden als Beihilfe/Zuschuss statt als Darlehen. Die Klägerin zu 2 hat die Abänderung der Kostengrundentscheidung im angefochtenen Urteil des Sozialgerichtes begehrt.
Der 1962 geborene, erwerbsfähige Kläger zu 1, seine 1967 geborene Lebensgefährtin A… A… sowie deren 1989 geborene Tochter M… A…, die Klägerin zu 2, und deren 1997 geborener Sohn M… A… bewohnten eine gemeinsame Wohnung. Der Kläger zu 1, seine Lebensgefährtin und die Klägerin zu 2 erhielten seit 1. Januar 2005 von der ARGE D… (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). M… A… konnte seinen Bedarf aus Kindergeld- und Unterhaltszahlungen decken.
Am 10. Oktober 2005 zog der Kläger zu 1 aus der gemeinsamen Wohnung aus. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Lebensgefährtin und die Klägerin zu 2 schwanger. Auch nach der Trennung verblieben der Kläger zu 1, seine Lebensgefährtin und die Klägerin zu 2 im Leistungsbezug.
Am 15. Januar 2006 schlossen der Kläger zu 1 und seine Lebensgefährtin einen Mietvertrag über eine neue gemeinsame Wohnung. Monatlich betrugen die Gesamtmiete 758,00 EUR und die Betriebskostenvorauszahlungen 280,00 EUR. Mietbeginn war der 1. Februar 2006. Bereits am 16. Dezember 2005 wurde der Antrag auf Übernahme der Mietkaution gestellt, dem die ARGE mit Bescheid vom 8. Februar 2006 in Form einer dar-lehensweisen Bewilligung entsprach. Auf den Antrag vom 11. Januar 2006, die Miete
direkt an den Vermieter zu zahlen, teilte die ARGE mit Schreiben vom 11. Januar 2006 mit, das...