Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf in der Pflegeversicherung

 

Orientierungssatz

Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung hat, wer für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Maß der Hilfe bedarf. Eine Feststellung der Hilflosigkeit nach dem Schwerbehindertenrecht hat keine Bindungswirkung für das Recht des SGB 11. Die Voraussetzungen einer Zuordnung zu den Pflegestufen des SGB 11 sind nach den darin enthaltenen eigenständigen Kriterien zu ermitteln.

Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe 2 hat, wer für die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung täglich im Umfang von 3 Stunden Hilfe benötigt, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen.

Innerhalb des Teilbereiches der Ernährung gehört zur mundgerechten Zubereitung der Nahrung nur die letzte Vorbereitungshandlung nach Fertigstellung der Mahlzeit. Ist Anleitung oder Beaufsichtigung im Bereich der Grundpflege erforderlich, so ist nur der jeweils erforderliche konkrete Zeitaufwand der Pflegeperson anzusetzen, nicht aber die Zeitspanne zwischen Hilfeleistungen für verschiedene Verrichtungen und für die ständige Anwesenheit der Pflegeperson.

Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind nur dann berücksichtigungsfähig, wenn sie mit einer Katalogverrichtung untrennbar verbunden sind. Die Hilfe bei der Medikamentengabe zählt nicht zur Grundpflege. Hilfe für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist nur für solche Zwecke berücksichtigungsfähig, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich ist und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erforderlich macht.

Der Aufwand für Arztbesuche, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, ist kein berücksichtigungsfähiger Pflegeaufwand. Ein allgemeiner Aufsichts-, Betreuungs- und Kontrollbedarf ist als Pflegebedarf nicht berücksichtigungsfähig. Nur bei geistig Behinderten mit einem erheblichen Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung ist über § 45 a SGB 11 die Berücksichtigung zusätzlicher Betreuungsleistungen möglich.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.02.2000 wird zurückgewiesen

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab November 1996 zusteht.

Die am ......1976 geborene Klägerin leidet nach frühkindlichem Hirnschaden an einer geistigen Retardierung sowie Muskelschwäche und Koordinationsstörungen. Ferner liegt eine beiderseitige Schwerhörigkeit und eine Sehminderung vor. Sie lebt bei ihren Eltern, von denen sie betreut und gepflegt wird. Von montags bis freitags besuchte sie zunächst die Schule für geistig behinderte Kinder in S.  jetzt arbeitet sie in einer Werkstatt für Behinderte in der Küche. Mit Bescheid vom 09.09.1992 des Amtes für Familie und Soziales C. sind ein GdB von 100 festgestellt und ihr die Merkzeichen B, G und H zuerkannt. Seit 01.04.1995 erhält die Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

In dem auf den Antrag vom 05.11.1996 eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 17.01.1997 wurde von Dipl.-Med. H..... nach Hausbesuch vom 10.12.1996 der Grundpflegebedarf mit 45 Minuten eingeschätzt. Die Klägerin sei mit zwei Hörgeräten und einer Brille versorgt. Eine laute Umgangssprache werde verstanden; auch lese sie von den Lippen ab. Die Muskulatur sei insgesamt schlaff, die Feinmotorik leicht gestört. Infolge der hohen Myopie würden Gleichgewichtsstörungen vorliegen. Die frühkindliche Hirnschädigung habe zu einer geistigen Retardierung geführt. Die Klägerin sei Analphabetin, könne nicht rechnen. Sie kenne sich nur in der unmittelbaren Wohnumgebung aus und könne nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Die Stimmung sei beim Besuch ausgeglichen gewesen. Die Mutter habe aber über agressive Verhaltensweisen berichtet. Der Pflegebedarf ist im Einzelnen wie folgt angegeben: Körperpflege: Waschen: ja, einmal früh Anleitung, Teilhilfe; Duschen/Baden: ja, abends, einmal; Zahnpflege: nein; Kämmen: nein ; Darm-/Blasenentleerung: nein; Ernährung: mundgerechte Zubereitung: ja, Fleisch zerschneiden; Nahrungsaufnahme: nein; Mobilität: Aufstehen/Zu-Bett-Gehen: nein; An-/Auskleiden, ja, morgens; Stehen: nein; Gehen: nein; Treppensteigen: nein; Verlassen- und Wiederaufsuchen der Wohnung: ja. Zum Ankleiden ist bemerkt, die witterungsgemäße Kleidung müsse bereit gelegt werden. Es müsse auf saubere und frische Wäsche geachtet werden. Abends werde die Kleidung wieder ordentlich hingelegt, weil die Klägerin einfach alles fallen lasse. Ohne weitere Aufschlüsselung sind der Zeitaufwand für die Körperpflege mit 30 Minuten, für die Ernährung mit 15 Minuten und für die Mobilität mit 10 Minuten eingeschätzt.

Mit Bescheid vom...

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