Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfungsbescheid des Rentenversicherungsträgers über Beitragsnachforderungen gegen einen Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Insolvenzforderungen. Charakter eines Grundlagenbescheids. keine Funktion eines Vollstreckungstitels im engeren Sinne
Leitsatz (amtlich)
1. Einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassenen Prüfbescheid des Rentenversicherungsträgers gegen den Insolvenzverwalter über Beitragsnachforderungen, welche Insolvenzforderungen darstellen, kommt der Charakter eines Grundlagenbescheids zu.
2. Dem Prüfbescheid kommt nicht gleichzeitig bereits die Funktion eines Vollstreckungstitels im engeren Sinne zu, der Verwaltungsakten mit einem Leistungs- bzw Zahlungsgebot üblicherweise zukommt (unter Verweis auf BSG vom 28.5.2015 - B 12 R 16/13 R = SozR 4-2400 § 28p Nr 5 RdNr 23).
Tenor
I. Die Beklagte war nach der Insolvenzeröffnung (Beschluss des Amtsgerichts A.... vom 14.02.2011 - ....) über das Vermögen des Schuldners Y.... befugt, den Prüfbescheid vom 02.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2019 über Grund und Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis 28.02.2009 sowie Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger zu erlassen.
II. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Tatbestand
Im Ergebnis einer Betriebsprüfung streiten die Beteiligten um eine Nachforderung von Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitsförderungs- und Umlagebeiträgen in Höhe von insgesamt 1.329.075,20 € (zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 1.438.381 €; 454.884 € bis zur Insolvenzeröffnung und 983.497 € danach) für Beschäftigung in der Zeit vom 01.06.2007 bis 28.02.2009.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des 1974 geborenen serbischen Staatsangehörigen Y.... (Schuldner). Er war Inhaber der im Handelsregister des Amtsgerichts A.... unter HRA.... eingetragenen Firma X.... Y.... e.K. mit Sitz in A...., die ihre Gewerbetätigkeit - Baustahlarmierungsarbeiten - zum 15.03.2005 begonnen hatte (Gewerbeanmeldung vom 10.03.2005). Über das Vermögen von Y.... wurde durch Beschluss des Amtsgerichts A.... (AZ: ....) am 14.02.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Y.... wurde durch Beschluss des Amtsgerichts A.... - Insolvenzgericht - vom 27.02.2017 Restschuldbefreiung erteilt (AZ: ….).
Am 02.02.2010 leitete das Hauptzollamt A.... (HZA), Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Standort D…., und am 22.03.2010 die Steuerfahndung jeweils ein Ermittlungsverfahren gegen Y.... wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, Betrug und Steuerhinterziehung ein. Y.... wurde von der Generalstaatsanwaltschaft A.... wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 37 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 34 Fällen angeklagt (Anklageschrift vom 28.04.2016; AZ: ....) und durch Urteil des Amtsgerichts A.... vom 02.11.2016 (....) wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 20 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung in 20 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde.
Unter dem 03.03.2017 kündigte die Beklagte gegenüber dem Kläger ein Betriebsprüfungsverfahren bei der Firma X.... Y.... e.K. an und führte dieses am 31.03.2017 auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse des HZA für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis 28.02.2009 durch.
Nach Anhörung des Klägers vom 04.04.2017, welcher sowohl die monatlichen Nettoumsätze aus Fremdbauleistungen von Juni 2007 bis Februar 2009, die monatliche Hochrechnung der Bruttoentgelte, die Beitragsberechnungen und Berechnung der Säumniszuschläge als Anlagen beigefügt war, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 02.06.2017 wörtlich fest (Seite 2 des Bescheides, Bl. 174 Rs VA):
„… Aufgrund der nach § 28p Abs. 1 SGB IV iVm § 2 Abs. 2 SchwarzArbG durchgeführten Betriebsprüfung ergeben sich für die Zeit vom 01.06.2007 bis 28.02.2009 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 2.767.456,20 €. In der Höhe der sich ergebenden Insolvenzforderungen sind Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV in Höhe von 1.438.381,00 € enthalten. Die Insolvenzforderungen nach § 38 InsO werden von den zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht und zur Tabelle nach § 175 InsO angemeldet.“ … (Seite 12 des Bescheides, Bl. 179 Rs VA):
„… Dieser Bescheid inklusive der Anlagen stellt Beiträge als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO fest, die nach §§ 187ff. InsO zu befriedigen sind. Die Insolvenzforderungen werden von der(n) zuständigen Einzugsstelle(n) zur Tabelle nach § 175 InsO gemeldet. Eine Zahlungsaufforderung ist damit nicht verbunden. Eine Mehrfertigung dieses Bescheides erhält/erhalten jeweils die von den Prüffeststellungen tangierte(n) Einzugsstelle(n), die im Rahmen ihrer Zuständigkeit d...