Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kopforthesenbehandlung. neue Behandlungsmethode. keine Abbildung im einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (juris EBM-Ä). Begriff der ärztlichen Behandlungsmethode. Plagiocephalie. keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kopforthesenbehandlung stellt eine neue Behandlungsmethode dar (Bestätigung und Fortführung von LSG Chemnitz vom 11.10.2013 - L 1 KR 132/11 - juris).
2. Die Therapie der Plagiocephalie mittels einer Orthese ist im EBM Ä (juris: EBM-Ä) nicht abgebildet.
Orientierungssatz
1. Zum Begriff der ärztlichen Behandlungsmethode iS der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Die Plagiocephalie stellt weder eine lebensbedrohliche noch eine regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung dar.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 3. März 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine Kopforthese (Helmtherapie) in Höhe von 1.260,44 EUR.
Der am … 2012 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er litt unter einem nicht-synostotischen Plagiocephalus (Schiefschädel). Am 6. September 2012 verordnete ihm Dr. Y…, Fachärztin für Orthopädie/Chirotherapie, eine "Kopfkorrekturorthese nach Maß (Diff. 13 mm)". Ausweislich des Kostenvoranschlages der Firma N… Orthopädie-Technik in B… D… sollten sich die Kosten hierfür auf 1.260,44 EUR belaufen.
Mit Bescheid vom 19. September 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Kopforthese mit der Begründung ab, es handele sich dabei nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Hiergegen legte der Vater des Klägers am 4. Oktober 2012 Widerspruch ein (Schreiben vom 1. Oktober 2012).
Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Nachweis, dass der Einsatz von Kopforthesen zur Behandlung der Schädeldeformität der Lagerungstherapie und gegebenenfalls weiteren erforderlichen Maßnahmen (zum Beispiel Krankengymnastik und manuelle Therapie) gleichwertig oder überlegen sei, habe in gut geplanten und einwandfrei durchgeführten Studien noch nicht geführt werden können. Die Helmtherapie sei bisher nicht in die Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung aufgenommen worden. Auch sei für sie bisher keine Nummer im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) vergeben worden. Diese Behandlungsmethode sei somit keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausnahmsweise gleichwohl eine Leistungsbewilligung bejaht habe, lägen beim Kläger nicht vor. Bei der Kopforthese handele sich auch nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Behandlung der Kopfdeformität mit einer Kopforthese entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Dagegen hat der Kläger am 15. Februar 2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Leipzig erhoben.
Zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht hat das SG ärztliche Befundberichte bei Diplom-Medizinerin R… - Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin - und Dr. Y… eingeholt.
Diplom-Medizinerin R… hat in ihrem Befundbericht vom 11. März 2013 ausgeführt, da sich die Schädelasymmetrie trotz erfolgter Physiotherapie und manueller Therapie wegen einer Blockierung in der Halswirbelsäule nicht gebessert habe, habe sie den Kläger im August 2012 an Dr. Y… überwiesen.
Dr. Y… hat in ihrem Befundbericht vom 12. März 2013 mitgeteilt, seit Anlage der Kopforthese hätten sich die erhobenen Befunde deutlich gebessert.
Außerdem hat das SG ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet bei Dr. H…, Oberärztin, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kinderorthopädie, eingeholt.
Sie hat in ihrem Gutachten vom 15. März 2014 nach einer Untersuchung des Klägers am 31. Juli 2013 mitgeteilt, durch die im September 2012 ausgelieferte Kopforthese habe die Differenz von 16 mm auf 4 mm korrigiert werden können. Beim Kläger hätten im September/Oktober 2012 eine Plagiocephalie rechts bei rezidivierenden Kopfgelenksblockierungen sowie eine Kiefergelenksverschiebung vorgelegen. Die letzte aktuelle Veröffentlichung zur Wirksamkeit der Kopforthese datiere von November 2013. Sie sei von A. Y…, G. S…-S… und Prof. Dr. H… verfasst worden. Danach habe bei einer prospektiven Verlaufsbeobachtung von 45 in einem Dreijahreszeitraum erfassten Säuglingen, die bei ausgeprägter Plagiocephalie mit einer maßgefertigten Kopfkorrekturthese versorgt worden seien, eine Verbesserung der Schädeldeformierung festgestellt werden können, ohne dass es - abgesehen von gut therapierbaren temporären Druckstellen - zu Nebenwirkungen gekommen ...