Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Leistungsanspruch wegen stationärer Behandlung einer Liposuktion. Tatbestandsmerkmal des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse. Anknüpfung an Tatbestand der evidenzbasierten Medizin. keine notstandsähnliche Krankheitssituation
Leitsatz (amtlich)
1. Eine stationäre Behandlung einer Liposuktion gehört nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Liposuktion nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
2. Das Tatbestandsmerkmal des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse knüpft an den Tatbestand der evidenzbasierten Medizin an (Anschluss an LSG Stuttgart vom 1.3.2013 - L 4 KR 3517/11 = KHE 2013/8 = juris RdNr 34; Entgegen LSG Darmstadt vom 5.2.2013 - L 1 KR 391/12 = KrV 2013, 124 = juris RdNr 20).
Orientierungssatz
Ein Anspruch auf Durchführung einer Liposuktion aufgrund einer notstandsähnlichen Krankheitssituation besteht ebenfalls nicht. Die vom Bundesverfassungsgericht vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = juris RdNr 64 aufgestellten und inzwischen in § 2 Abs 1a SGB 5 kodifizierten Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Denn das Lipödem stellt weder eine lebensbedrohliche noch eine regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung dar.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. November 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beseitigung von Fettpolstern im Gesäßbereich hat.
Die am … geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 27. Januar 2009 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative Beseitigung von Fettpolstern im Gesäßbereich. Dem Antrag fügte sie ein Schreiben des Facharztes für Innere Medizin, Angiologie/Phlebologie, Dr. P…, vom 10. Dezember 2008 bei. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin unter anderem ein beidseitiges lymphovenöses Ödem am Bein, Bindegewebsschwäche, ein beidseitiges Lipödem an Armen und Beinen sowie Lipomatose und Adipositas. Er teilte mit, der Befund sei stabil. Es bestehe momentan kein dringlicher Handlungsbedarf. Im Vordergrund stehe "die ausgeprägte Lipomatose, so dass evtl. mit der Kasse über eine Kostenübernahme einer Liposculpture-Behandlung entschieden werden sollte". Ansonsten empfehle er die Weiterführung der konservativen Therapie mit Kompression bei ausreichender Mobilisierung und reichlicher Flüssigkeitszufuhr und halte den Befund langfristig für kontrollbedürftig. Ebenfalls beigefügt war dem Antrag der Klägerin ein undatierter "Kostenvoranschlag für eine operative Korrektur/Reduzierung/Beseitigung krankhafter Fettdepots im Bereich der unteren Körperregion (hier Gesäß)" von Dr. W…, Inhaber der Ästhetik-Klinik Dr. W… - Privatklinik für Ästhetisch-Plastische Chirurgie - in Rostock, über 2.895,15 EUR für die erste stationär durchzuführende Sitzung. Die Durchführung der Operation sollte durch Dr. W… im Krankenhaus K… erfolgen.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2009 teilte Dr. P… der Beklagten mit, die Klägerin befinde sich seit 2001 in langfristiger Kontrolle wegen eines lymphovenösen Ödems im Bereich beider Beine im Rahmen einer allgemeinen Bindegewebsschwäche sowie einem massiven Lipödem im Sinne einer Lipomatose vor allem der Oberschenkel und Oberarme, "die im Prinzip schon als krankhaft angesehen werden muß, da es die Patn. erheblich in der Bewegung einschränkt, so dass die Kostenübernahme überprüft werden sollte".
Die orthopädische Praxisklinik Dr. R…/Dr. F…/L…/Dr. G…/G… bestätigte durch Dr. F… in einem ärztlichen Befundbericht über die Untersuchung der Klägerin am 2. Februar 2009 die Diagnosen "Knie-TEP; Lipödem". Aus orthopädischer Sicht sei eine Reduktion des Lipödems zur Gelenksentlastung speziell der Knie- und Sprunggelenke zu empfehlen. Damit könnten weitere Folgeschäden an anderen Gelenken und ein Schutz bereits vorhandener Implantate gewährleistet werden. Es werde die operative Reduktion des Lipödems zur Entlastung der Gelenke bei bereits vorhandener Knie-TEP empfohlen.
Nach Vorlage dieser Unterlagen ließ die Beklagte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage vom 9. Mai 2009 durch Dr. H… erstellen. Sie legte als Diagnose ein lipovenöses Ödem im Sinne einer Reithosenadipositas zu Grunde. Dr. H… führte aus, funktionelle Einschränkungen seien den Befunden und mitgereichten Fotos nicht zu entnehmen. Das Lipödem sei eine vor allem bei Frauen vorkommende Erscheinung bislang unbekannter Ätiologie. Es handele sich um eine stets beiderseitige symmetrische reithosenartige Schwellung der Beine. Ursache der Schwellung sei eine vermehrte Fettablagerung, die durch Diät nicht wesentlich beeinflussbar sei. Zurzeit gebe es ...