Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietminderung wegen Wohnungsmängeln. Nachforderung von Miete durch den Vermieter nach Klageverfahren. Mietzinsnachzahlung als aktueller Bedarf im Fälligkeitsmonat. keine Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ein Leistungsberechtigter gegenüber seinem Vermieter die Unterkunftskosten mindert, sind dies gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB II die tatsächlich zu berücksichtigenden laufenden Unterkunftskosten, sofern die Mietminderung nicht offensichtlich unwirksam ist.
2. Wenn später in einem wegen der Mängel der Wohnung geführten Gerichtsverfahren festgestellt wird, dass dem Mieter kein Minderungsrecht oder jedenfalls kein Minderungsrecht in der geltend gemachten Höhe zugestanden hat, und es zu Nachforderungen kommt, gehören diese dann einmalig geschuldeten Zahlungen als weiterer einmaliger Unterkunftsbedarf im Rahmen der Kostenangemessenheit zum aktuellen Bedarf des Monats, in dem die Nachforderung rechtskräftig und damit fällig geworden ist.
3. Der Zeitpunkt der Fälligkeit der Mietforderung des Vermieters einerseits und der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Übernahme einer Nachzahlung gegenüber einem Jobcenter andererseits können auseinanderfallen.
4. Wenn der Gesetzgeber einem Mieter die Möglichkeit eröffnet, prozessrechtlich aktiv einen Rechtsstreit in einem Mietrechtsverhältnis gerichtlich klären zu lassen (hier im Rahmen einer Feststellungsklage), ist es einem Jobcenter verwehrt, den Mieter darauf zu verweisen, sich in dem Mietrechtsstreit prozessrechtlich passiv zu verhalten.
5. Eine Verjährung tritt nicht durch Zeitablauf "automatisch" ein, sie muss vielmehr geltend gemacht werden.
6. Eine grundsicherungsrechtliche Verpflichtung eines Leistungsberechtigten, gegenüber dem Vermieter die Einrede der Verjährung zugunsten eines Jobcenter zu erheben, ist nicht erkennbar.
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. April 2021 wird zurückgewiesen.
Nummer 1 des Tenors des Urteils vom 16. April 2021 wird wie folgt gefasst:
Der Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2016 werden aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 23. Dezember 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Mai 2015 verpflichtet, dem Kläger für den Monat März 2015 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.080,45 EUR zu bewilligen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung des Beklagten, ihm für den Monat März 2015 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu bewilligen.
Der Kläger bewohnt seit dem 1. August 2010 eine Wohnung in der Y.... -Str. in A….. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. April 2011 zeigten der Kläger und seine zwischenzeitlich verstorbene Ehefrau dem Vermieter Mängel der Wohnung an. Als mietmindernde Umstände machten sie eine Schimmelbildung in der Küche (15 %), nicht nutzbare Mülltonnen (3 %) und Lärmbelästigung (5 %) geltend.
Der Beklagte berücksichtigte die Kosten der Unterkunft (Grundmiete) in Höhe des geminderten Betrages.
Der Kläger beantragte am 9. Dezember 2014 die Weiterbewilligung von Leistungen. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger, der Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit und einer Rente bezog, für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bedarf für Unterkunft und Heizung) in Höhe von 108,21 EUR. Der Kläger legte dagegen am 26. Januar 2015 Widerspruch ein.
Am 9. Februar 2015 reichte der Kläger das Endurteil des Amtsgerichts A.... vom 2. Februar 2015 (Az.: 141 C 4651/13) zur Verwaltungsakte. Mit dieser Entscheidung verurteilte das Amtsgericht auf die Klage des Mieters, des Klägers, den Vermieter, die Schimmelbildung in der Küche des Mieters zu beseitigen, und stellte fest, dass die Bruttomiete für den Zeitraum von Mai 2011 bis April 2012 und ab Januar 2013 bis zur Beseitigung des Mangels um 10 % gemindert war. Hinsichtlich der übrigen geltend gemachten Mängel wies das Amtsgericht die Klage ab und erklärte das Urteil gegen Sicherheitsleistung von 3.000,00 EUR für vorläufig vollstreckbar.
Am 31. März 2015 überwies der Kläger den sich aus dem Urteil des Amtsgerichts errechnenden Fehlbetrag in Höhe von 1.080,45 EUR unter Angabe des Verwendungszwecks „Mietrückstände" an den Vermieter.
Mit Änderungsbescheid vom 12. Mai 2015 bewilligte der Beklagte unter anderem für den Monat März 2015, eine fehlerhafte Einkommensbereinigung im Bewilligungsbescheid vom 23. Dezember 2014 korrigierend, 10,04 EUR mehr als zuvor. Damit werde dem Widerspruch des Klägers vom 26. Januar 2015 in vollem Umfang entsprochen.
Am 23. Mai 2015 beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, die aus dem Urteil des Amtsgerichts A.... vom 2. Februar 2015 r...