Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108, Nr 2110. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. arbeitstechnische Voraussetzung. kumulative Einwirkungsbelastungen. Gesamtbelastungsgrad. haftungsbegründende Kausalität. B2-Konstellation. Prolaps an mehreren Bandscheiben
Leitsatz (amtlich)
1. Eine berufliche Mischbelastung aus Heben und/oder Tragen schwerer Lasten und/oder extremer Rumpfbeugehaltung (BK 2108) und Körpervibrationen (BK 2110) bedeutet ein erhöhtes Risiko für die Lendenwirbelsäule. Die beiden Einwirkungsbelastungen sind kumulativ und nicht strikt getrennt zu betrachten und können zusammen bewertet einen ausreichenden Gesamtbelastungsgrad erreichen.
2. Die Formulierung "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben ..." in der Konstellation B 2, 1. Zusatzkriterium der Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung bei bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule bedeutet nicht, dass mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssen. Vielmehr ist die Konstellation auch bei einem bisegmentalen Bandscheibenschaden einschlägig.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 26. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren zu zwei Drittel.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Anerkennung der beim Kläger bestehenden Erkrankungen als Berufskrankheit nach Nummern 2108 und 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1967 geborene Kläger erlernte von 1983 bis 1985 den Beruf eines Agrotechnikers, in dem er bis 1990 arbeitete. Anschließend war er bis 1991 als Mitarbeiter in einer Straßenmeisterei als Kraftfahrer, bis 1992 als Bauhelfer, bis 1998 als Bauhelfer und Dachdeckerhelfer sowie bis September 2011 als Landwirt und Traktorist tätig.
Im Juni 2011 zeigte der behandelnde Arzt des Klägers Dr. Z. den Verdacht einer Berufskrankheit an, woraufhin die Beklagte Ermittlungen einleitete. Nach Einholung von Befundberichten und Beiziehung von Epikrisen sowie eines Rehabilitationsentlassungsberichtes der Y.Klinik vom 17. Mai 1999 holte sie eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. X. ein. Dieser schätzte am 16. September 2011 ein, anhand der nur bedingten Übereinstimmung zwischen Röntgenbefund, klinischem Befund und Beschwerdebild würden mehr Umstände gegen das Vorliegen einer BK 2108 oder 2110 sprechen. Eine BK 2109 sei nicht wahrscheinlich zu machen (Bl. 50 f. Verwaltungsakte der Beklagten (VA)). Die Gewerbeärztin Dr. W. empfahl in ihrer Stellungnahme vom 28. Oktober 2011 die Ablehnung der Berufskrankheiten nach Nummern 2108 bzw. 2110 sowie 2109 BKV. Eine eindeutige Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2108/2110 sei nach Aktenlage nicht möglich, die medizinischen Voraussetzungen würden nicht vorliegen. Es sei von einer Konstellation B 5 oder 6 nach den Konsensempfehlungen auszugehen. Der Kläger sei in seiner Tätigkeit als Landwirt, Kraftfahrer, Traktorist und Bauhelfer nicht entsprechend mit Halswirbelsäulen (HWS)-belastenden Tätigkeiten exponiert gewesen (Bl. 55 f. VA).
Mit Bescheid vom 29. November 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummern 2108/2110 und 2109 BKV ab. Ein belastungskonformes Erkrankungsbild der Lendenwirbelsäule (LWS) liege nicht vor, dagegen bestünden deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der HWS. Im Hinblick auf die BK 2109 seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben (Bl. 57 f. VA). Im Widerspruchsverfahren gab die Beklagte nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen eine erneute beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. X. in Auftrag. Dieser schätzte am 15. März 2012 ein, die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 oder 2110 würden auch nach Auswertung der neuen medizinischen Unterlagen nicht vorliegen. Weiter gab sie Ermittlungen zur Arbeitsplatzexposition in Auftrag. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete unter dem 30. Mai 2012 für Tätigkeiten in landwirtschaftlichen Unternehmen im Zeitraum August 1985 bis Mai 2012 eine Belastungsdosis von 3,29 MNh und eine Belastung durch Ganzkörperschwingungen in 3,6 Jahren mit einem Dosiswert von 903,97 (m²s²)² (Bl. 135 ff. VA). Die Abteilung Prävention der Berufsgenossenschaft Bauwirtschaft errechnete in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni 2012 für Tätigkeiten in der Bauwirtschaft im Zeitraum 16. Juli 1990 bis 31. Dezember 1997 eine Gesamtbelastungsdosis von 6,2 MNh. Der Kläger sei beim Fahren verschiedener Fahrzeuge auch vertikalen Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen ausgesetzt gewesen. In keinem Zeitraum sei jedoch der Beurteilungsbeschleunigungsrichtwert erreicht worden. Er habe auch teilweise Lasten mit mehr als 50 Kilogramm (kg) auf der Schult...