Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. Weiterbildungskosten. Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Maßnahmeträgers. Heilung der fehlenden Hinzuziehung durch Nachholung. keine Sachdienlichkeit der hierzu notwendigen Verfahrensaussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Hinzuziehung des Maßnahmeträgers im Rahmen der Entscheidung nach § 79 Abs 2 S 1 SGB III aF (Auszahlung der Lehrgangskosten direkt an den Maßnahmeträger) ist nicht zwingend geboten, da die Erstattungspflicht nach § 79 Abs 2 S 2 SGB III aF erst nach Erlass eines weiteren Verwaltungsaktes eintritt, zu dessen Verwaltungsverfahren der Maßnahmeträger hinzugezogen werden muss.
2. Bei der Rücknahmeentscheidung gem § 45 Abs 2 S 3 SGB X gegenüber dem Teilnehmer muss der Maßnahmeträger nach § 12 Abs 2 S 2 SGB X zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen werden, weil der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung gegenüber diesem hat. Er ist dadurch unmittelbar dem Erstattungsverlangen gem § 79 Abs 2 S 2 SGB III aF ausgesetzt.
3. Die fehlende Hinzuziehung eines Beteiligten zum Verwaltungsverfahren kann zwar durch Nachholung geheilt werden (§ 41 Abs 2 SGB X). Dazu ist eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs 2 S 2 SGG erforderlich. Steht dem erneuten Erlass eines Rücknahmebescheides aber § 45 Abs 4 S 2 SGB X entgegen, fehlt es an einer Sachdienlichkeit im Sinne der Verfahrenskonzentration.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 8. Mai 2014 sowie der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 23. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2011 aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auch im Berufungsverfahren auf 10.290,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Pflicht der Klägerin zur Erstattung von Leistungen für eine Weiterbildungsmaßnahme des Beigeladenen nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) alte Fassung (a.F.), nachdem dem Beigeladenen für die Zeit vom 08.12.2008 bis 05.10.2009 zunächst Leistungen nach § 16 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. §§ 77, 80, 81 SGB III für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme bewilligt worden waren, welche anschließend aufgehoben wurden.
Der 1958 geborene Beigeladene stand im Leistungsbezug beim Beklagten und erhielt am 19.11.2008 einen Bildungsgutschein mit der Gültigkeit 13.11.2008 bis 13.01.2009. Darin erklärte sich der Beklagte bereit, die bei dem Lehrgang “Weiterbildung Eisenbahnfahrzeugführer/Schienenfahrzeugführer„ entstehenden Lehrgangskosten in Höhe von 10.290,00 € nach § 16 SGB II i.V.m. § 80 SGB III und darüber hinaus die damit verbundenen Fahrtkosten des Beigeladenen zu übernehmen. Der Vollzeit-Lehrgang sollte zehn Monate dauern (08.12.2008 bis 05.10.2009) und beinhaltete ein Betriebspraktikum. Die Klägerin ist zertifizierter Maßnahmeträger, bei der die Weiterbildungsmaßnahme des Beigeladenen stattfand und die dieser erfolgreich abschloss.
Mit Bescheid vom 17.12.2008 bewilligte der Beklagte dem Beigeladenen für die Zeit vom 08.12.2008 bis 05.10.2009 Leistungen für Lehrgangskosten in Höhe von 10.290,00 € und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 403,20 €. Im Bescheid findet sich der Zusatz “Die Lehrgangskosten in Höhe von 10.289,97 € werden direkt an den Maßnahmeträger überwiesen.„, wobei die Zahlung monatlich nachträglich in Höhe von 1.143,33 € erfolgte. Im Laufe der Maßnahme bewilligte der Beklagte dem Beigeladenen noch weitere Fahrtkosten.
Am 21.12.2010 findet sich in der Verwaltungsakte des Beklagten ein Hinweis darauf, dass der Beigeladene Leistungen nach dem SGB II erschlichen haben könnte. Tatsächlich hat die mit dem Beigeladenen in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter während des SGB II-Bezuges der Bedarfsgemeinschaft eine Halbwaisenrente bezogen, die der als Vorstand der Bedarfsgemeinschaft agierende Beigeladene, der bis 07.12.2008 Arbeitslosengeld I bezog, in den Leistungsanträgen nicht angegeben hatte. In einer Anhörung durch den Beklagten gab der Beigeladene am 05.04.2010 an, ihm sei bewusst gewesen, dass er die Halbwaisenrente hätte angeben müssen. Er habe die Gefahr gesehen, dass er dann seine Umschulungsmaßnahme hätte abbrechen müssen. Das Ermittlungsverfahren gegen die Tochter des Beigeladenen wurde gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt, der Beigeladene selbst wurde vom Amtsgericht wegen Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt.
Mit Bescheid vom 25.01.2011 nahm der Beklagte die Bewilligung der Leistungen für die Weiterbildungsmaßnahme aus dem Bescheid vom 17.12.2008 gem. § 45 Abs. 4, Abs. 2 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III zurück und forderte vom Beigeladenen eine Erstat...