Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsausbildungsbeihilfeanspruch. zweite Ausbildung. Anrechnung von Elterneinkommen. Anspruch auf Ausbildungsunterhalt des Kindes. erhebliches Versagen in der Erstausbildung. Fehleinschätzung der Begabung. Gegenseitigkeitsprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Kind eine Ausbildung, die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält, erhalten, besteht in der Regel kein Anspruch gegen die Eltern auf Finanzierung einer Zweitausbildung oder nicht notwendigen Weiterbildung.

2. Ausnahmen werden nur unter besonderen Umständen angenommen, nämlich wenn der Beruf etwa aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann oder wenn das Kind von den Eltern in einen seiner Begabung nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt wurde oder die Erstausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung beruht. Ferner kommt eine weitergehende Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde.

3. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, ihr für eine Ausbildung zur Bürokauffrau ab dem 1. Oktober 2009 eine Berufsausbildungsbeihilfe zu bewilligen.

Die am … 1984 geborene und verheiratete Klägerin lebt mit ihrer am 5. September 2003 geborenen Tochter zusammen. In den Jahren 2001 bis 2004 durchlief sie eine Ausbildung zur Masseurin und medizinischen Bademeisterin, die sie nicht erfolgreich abschließen konnte. Sie bezog während der Ausbildung Leistungen nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) unter Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern. Von 2005 bis 2009 wurde die Klägerin zur Physiotherapeutin ausgebildet, bestand aber wiederum die Prüfung nicht. Während dieser Ausbildung bezog sie Leistungen nach dem BAföG ohne Anrechnung von Einkommen der Eltern.

Am 24. September 2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe für eine Ausbildung als Bürokauffrau ab dem 1. Oktober 2009.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei der Klägerin bestehe ein Bedarf von insgesamt 759,00 EUR monatlich. Sie verfüge über ein Nettoeinkommen in Höhe von 131,36 EUR monatlich. Vom Einkommen der Eltern seien 1.194,07 EUR anzurechnen. Damit stünden der Klägerin die für die Berufsausbildung erforderlichen Mittel anderweitig zur Verfügung.

Den Widerspruch der Klägerin vom 30. Oktober 2009, mit dem sie geltend machte, bereits seit 2003 mit ihrem Kind in einer eigenen Wohnung zu leben und sich in ihrer dritten Ausbildung zu befinden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2009 zurück.

Die mit der Begründung, die Eltern der Klägerin seien dieser gegenüber nicht mehr unterhaltspflichtig, am 2. Dezember 2009 erhobene Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 8. Februar 2010 unter Verweis auf die Darlegungen im Widerspruchsbescheid der Beklagten zurück. Ergänzend führte es aus, dass ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe schon wegen des übersteigenden Einkommens der Eltern nicht bestehe. Verwandte in gerader Linie seien sich nach § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zum Unterhalt verpflichtet. Die Klägerin, die keine ihrer früheren Ausbildungen abgeschlossen habe, befinde sich in einer Erstausbildung. Dass die Eltern rechtlich oder tatsächlich gehindert sein könnten, den Unterhalt zu leisten, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Es sei auch nicht erkennbar, dass ein Unterhaltsanspruch etwa verwirkt sein könnte.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 15. März 2010. Ihre Eltern, die Beigeladenen zu 2 und 3, hätten die Aufforderung, ihr Unterhalt zu leisten, “vehement„ abgelehnt. Sie seien der Auffassung, nicht mehr leisten zu müssen. Grundsätzlich schuldeten Eltern ihren volljährigen Kindern nur für eine - optimale und begabungsbezogene - Ausbildung Unterhalt. Werde die Ausbildung nicht abgeschlossen, seien die Eltern nur dann weiterhin unterhaltsverpflichtet, wenn diese Ausbildung nicht der Begabung des Kindes entsprochen habe und die neu...

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