Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit des § 256a Abs 4 SGB 6

 

Orientierungssatz

§ 256a Abs 4 SGB 6 ist mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.12.2022; Aktenzeichen B 5 R 137/22 B)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. November 2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt, seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik bei der Rentenberechnung mit 1,0 Entgeltpunkten zu bewerten.

Der 1954 geborene Kläger leistete vom 2. November 1972 bis 26. April 1974 seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. Mit Bescheid vom 31. März 2020 gewährte die Beklagte ihm eine Regelaltersrente ab Februar 2020. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie am 18. Juni 2020 zurück. Sein Wehrdienst sei entsprechend den gesetzlichen Vorschriften mit 0,75 Entgeltpunkten bewertet worden. Die hiergegen am 7. Juli 2020 erhobene Klage hat das Sozialgericht Dresden mit Gerichtsbescheid vom 8. November 2021 abgewiesen.

Mit der am 10. Dezember 2021 eingelegten Berufung trägt der Kläger vor, es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn die Zeit seines Grundwehrdienstes statt mit 1,0 Entgeltpunkten nur mit 0,75 Entgeltpunkten bewertet werde. Bei Personen, die ihren Wehrdienst in der Bundesrepublik in diesem Zeitraum geleistet hätten, würde der höhere Wert zu Grunde gelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung des Grundwehrdienstes 1,0 Entgeltpunkte pro Jahr zu Grunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

 die Berufung zurückzuweisen.

Die Verwaltungs- und Gerichtsakten lagen vor. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 27. Januar und 8. Februar 2022 zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte entscheiden, ohne mündlich zu verhandeln. Die Beteiligten waren hiermit einverstanden, § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht seinen Rechten.

Zutreffend wurden für die Zeit, in der der Kläger seinen Wehrdienst im Beitrittsgebiet ableistete, bei der Rentenberechnung 0,75 Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Die Beklagte hat damit den Willen des Gesetzgebers umgesetzt, § 256 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach sind für Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Personen aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehr- oder Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet haben, für jedes volles Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zu legen.

Die Entscheidung steht im Einklang mit Artikel 3 Grundgesetz (GG). Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Differenzierungen sind möglich. Gruppen dürfen vom Gesetzgeber jedoch nur insoweit unterschiedlich behandelt werden, soweit sachliche Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, die dies rechtfertigen. Unter Beachtung dieses Grundsatzes kann der Gesetzgeber wählen, was er als rechtlich gleich qualifiziert. Die sachgerechte Auswahl hat nach einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu erfolgen, dessen Inhalt und Grenzen sich nach den betreffenden unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen. Die Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund sind dementsprechend verschieden und reichen von den auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen, bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 2 BvL 1/12). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist besonders groß bei Regelungskomplexen, mit denen Renten von einem System in ein anderes übergeleitet werden. Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Systemwechsel durch die einzigartige Aufgabe der juristischen Bewältigung der Wiederherstellung der Deutschen Einheit veranlasst wurde.

Nach diesen Maßstäben ist § 256 a Abs. 4 SGB VI mit Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Personen, die in der Bundesrepublik aufgrund der gesetzlichen Pflicht ihren Wehrdienst leisteten, waren und sind pflichtversichert, § 1227 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), § 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), § 3 Nr. 2 SGB VI. Die Versicherungsbeiträge wurden und werden vom Bund getragen, §§ 170, 173 SGB VI.

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