Verfahrensgang

SG Dresden (Urteil vom 04.07.2002; Aktenzeichen S 16 KR 75/00)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04.07.2002 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Kostenübernahme für eine Brustvergrößerungsoperation.

Die Klägerin ist am … geboren. Mit Schreiben vom 15.09.1999 beantragte die Gynäkologin Dr. F. für sie die Kostenübernahme für eine Mammaaufbauplastik. Bei der Klägerin bestehe ein erheblicher Leidensdruck mit verminderten Selbstwertgefühlen und depressiver Verstimmung aufgrund ihres Habitus, wobei die Mammahypoplasie am belastendsten empfunden werde. Bisher seien Familie und Kinderversorgung im Mittelpunkt ihres Lebens gestanden. Nachdem die Kinder nun selbständig seien, trete dieses immer verdrängte Problem verstärkt hervor.

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ist von Dr. W. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 29.09.1999 ausgeführt, die klein entwickelte Brust der Klägerin sei als Normvariante einzustufen und habe keinen erheblich regelwidrigen oder entstellenden Charakter. Im Rahmen des längeren Gesprächs habe sich gezeigt, dass die Klägerin mit allen ihren psychischen Problemen völlig auf die Mammahypoplasie fixiert sei. Sie habe sich auch vor ihrem Ehemann immer geschämt und geglaubt, wegen des körperlichen Defizits nach der Scheidung keinen neuen Partner zu finden. Eine psychologische Diagnostik wurde vom Gutachter für dringend erforderlich erachtet, damit die Klägerin die einseitige Fokussierung ihrer Probleme überwinden und ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen könne. Außerdem wurde eine Gewichtszunahme, mit der eine Brustvergrößerung einhergehe, empfohlen.

Gegen den eine Kostenübernahme ablehnenden Bescheid vom 13.10.1999 richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 21.10.1999. Bei der Begutachtung sei nicht auf ihre individuellen Probleme eingegangen worden. Durch ihr jahrelanges Schweigen und ihr Schamgefühl sei sie natürlich psychisch belastet. Sie habe ihren Körper noch nie akzeptieren und sich wie eine normale „Durchschnittsfrau” bewegen können. Es habe sie viel Überwindung gekostet, über ihr Problem offen zu sprechen. Die Brustvergrößerung möchte sie, um endlich ihre Lebensqualität zu verbessern und nicht mehr eingeschränkt und versteckt leben zu müssen. Von der Klägerin wurden Lichtbilder des Oberkörpers in unbekleidetem Zustand beigefügt.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2000 zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umfasse die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht operative Eingriffe in einen regelgerechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern.

Gegen den am 26.02.2000 zugestellten Widerspruchsbescheid richtete sich die am 14.03.2000 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin ausgeführt hat, die bei ihr vorliegende Hypoplasie liege weit außerhalb des Normbereiches und habe über die Jahre hinweg zu einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen Selbstwertgefühls geführt. Hierzu ist von Dr. Sch., Psychologischer Psychotherapeut, in seiner Stellungnahme vom 02.05.2000 ausgeführt, es bestehe ein Zustand von hohem psychischen Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, der die Stabilität der psychosozialen Funktionen und Leistungen über die Jahre erheblich eingeschränkt habe und langfristig die persönlichen als auch beruflichen Ziele der Patientin existentiell gefährde. Ausgangspunkt sei die extrem kleine Brust, die sich über die Jahre als körperdysmorphe Störung manifestiert habe. Es liege ein dekompensierter Zustand mit Ängsten und dem Gefühl starker Hilflosigkeit und Selbstzweifeln vor. In diesem Sinne bestehe auch aus psychotherapeutischer Sicht eine Indikation für eine Aufbauplastik, die aber einer verhaltenstherapeutischen Begleitung bedürfe.

In dem vom Sozialgericht beigezogenen Befundbericht vom 27.10.2000 ist von ihm ergänzend beschrieben, die Klägerin schäme sich seit der Pubertät wegen ihrer kleine Brüste. Sie habe deshalb extreme Einschränkungen erlebt (Baden, Kleidung, Freizeitaktivitäten bis hin zur Sexualität). Hierdurch fühle sie sich in ihrem Selbstwert und ihrer Identität als Frau herabgesetzt. Sie erlebe im Umgang mit anderen starke Ängste vor Abwertungen und fühle sich diesen Situationen hilflos ausgeliefert. Wegen der Angaben der Gynäkologin Dr. F. wird auf den Befundbericht vom 06.11.2000 verwiesen.

Im Auftrag des Sozialgerichts hat Priv.-Doz. Dr. D., Chefarzt der Frauenklinik, Krankenhaus D.-F., ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung erstattet. Der Sachverständige hat im Gutachten vom 28.06.2001 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine enorm ausgeprägte Hypoplasie beider Mammae mit einer Retraktion und Zerklüftung beider Mamillen bei Zustand nach zweimal Partu...

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