Verfahrensgang

SG Chemnitz (Urteil vom 06.07.1999; Aktenzeichen S 14 KN 9/97)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 06.07.1999 wird zurückgewiesen.

II. Der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2001 wird aufgehoben, soweit ein Zahlungsanspruch verneint wird.

III. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Frage, ob ein Anspruch der Klägerin auf Bergmannsinvalidenrente nach dem Übergangsrecht des Beitrittsgebiets „rechtzeitig”, d.h. vor dem 31.12.1996 entstanden ist.

Die am … 1942 geborene Klägerin arbeitete seit Juli 1959 nach dem Abschluss der 10. Klasse in verschiedenen Berufen, beispielsweise als Serviererin, Stationshilfe und Verkäuferin, eine bergbauliche Versicherung bestand während ihrer Tätigkeit als Sicherungsposten vom 19.02.1964 – 31.12.1966 und als Gleisarbeiterin vom 01.01.1967 – 15.03.1976.

Während der letztgenannten – körperlich sehr schweren – Tätigkeit erlitt sie zwei Fehlgeburten.

Dies war auch der Grund dafür, dass sie sich – auf Anraten ihres Ehemannes – im März 1976 nach einer körperlich leichteren Tätigkeit umsah und diese zum 13.04.1976 aufnahm. Zum 24.10.1984 gab sie jede Versicherungspflichtige Tätigkeit auf, unmittelbarer Anlass war eine Histerektomie, welche verschiedene Komplikationen und eine allgemeine Schwächung verursacht hatte.

Nachdem die Beklagte auf den Antrag der Klägerin vom 20.10.1993 die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit Bescheid vom 31.01.1994 wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt hatte, beantragte die Klägerin am 09.09.1994 Invalidenrente nach Art. 2 § 7 Renten-Überleitungsgesetz (RÜG).

Die daraufhin mit einer medizinischen Begutachtung beauftragte Ärztin Frau Dipl.-Med. M. stellte in somatischer Hinsicht lediglich eine zweigeteilte Kniescheibe sowie eine Struma bei unauffälliger Schilddrüsenfunktion fest; gleichwohl vertrat sie die Auffassung, dass die Klägerin weder in ihrem einstigen Beruf als Gleisbauarbeiterin noch als ungelernte Verkäuferin tätig sein könne: Grund hierfür seien die von der Klägerin als leistungsbeeinträchtigend empfundenen Schmerzen im Nackenbereich, die am ehesten auf Verspannungen der Muskulatur zurückzuführen seien. Eine körperlich leichte Tätigkeit beispielsweise als Pförtnerin, Schaltwart, Serienprüferin im Wareneingang oder Bürohilfe sei allerdings durchaus noch zumutbar.

Am 14.05.1995 verstarb der Ehemann der Klägerin. Sie nahm daraufhin 15 kg ab und litt verstärkt unter Schweißausbrüchen, Herzrasen, Nervosität, Zittern, Muskelspannung und Schwindelgefühl. Eine – noch nicht generalisierte – Angststörung war schon seit 1971 bekannt.

Mit Bescheid vom 17.01.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab: Der Leistungsfall der Invalidität liege nicht vor, da die Klägerin nach ärztlicher Einschätzung noch in der Lage sei, im knappschaftlichen Bereich als Pförtnerin oder Schaltwart und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt darüber hinaus als Bürohilfe oder Serienprüferin im Wareneingang tätig zu sein. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 15.03.1996 als unbegründet zurückgewiesen: Dem Anspruch stehe schon das vollschichtige Leistungsvermögen der Klägerin entgegen.

Auf die Klage zum Sozialgericht Chemnitz hat dieses zunächst ein fachorthopädisches Gutachten eingeholt.

Der Gutachter Dr. G. kam nach Auswertung der Röntgenbilder, schriftlichen Unterlagen und selbst erhobenen Befunde in seinem Gutachten vom 19.01.1998 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine extreme Depression, extreme Belastungsinsuffizienz und völlige Erschöpfbarkeit bei schwerer schmerzneurotischer Fixierung vorliege. Orthopädischerseits seien keine nennenswerten Behinderungen festzustellen, das Bewegungsverhalten der als hochschmerzhaft empfundenen Wirbelsäule sei fast noch im Normbereich. Die geistige und körperliche Versehrtheit lasse nur eine 2-stündige bis unterhalbschichtige Tätigkeit zu. Invalidität liege ab dem 04.06.1996 vor.

Nachdem die Beklagte eingewandt hatte, Genese und Therapiemöglichkeit einer psychischen Störung sowie deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit seien durch ein orthopädisches Gutachten nicht zu klären, beauftragte das SG Frau Doz. Dr. med. habil. Th. V., Universität L., mit der Erstellung eines psychosomatischen Fachgutachtens. Auch in diesem Gutachten vom 05.03.1999 wird Invalidität bejaht. Die Gutachterin legt dar, dass eine Herzangstneurose, die erstmalig im 29. Lebensjahr aufgetreten sei, mit dem Tod des Ehemannes im Jahre 1995 in eine generalisierte Angststörung (F 41.1 nach ICD 10) übergegangen sei. Außerdem sei bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F 45.4 nach ICD 10) zu diagnostizieren. Eine solche liege vor, wenn glaubhaft dauernde Schmerzzustände geklagt würden, die durch körperliche Störungen nicht oder nicht ausreichend erklärt werden könnten. Sie finde sich vor allem bei Menschen, die seelische Belastungen und Schmerzen nur...

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